Rom. Der Staatspräsident will eine Übergangsregierung aus Experten einsetzen. Doch Fünf-Sterne-Bewegung und Lega setzen auf Totalblockade und wollen Neuwahlen

Zwei Monate nach den Parlamentswahlen führt das Scheitern der Regierungsbildung Italien an den Abgrund einer schweren institutionellen Krise. Um wirtschaftliche Folgen abzuwenden, fordert Staatspräsident Sergio Matta­rella Zustimmung für eine Notlösung – eine Übergangsregierung aus „neutralen“ Technokraten. Doch auch da droht eine Totalblockade. Durch ihr umgehend signalisiertes Nein verweigern die Wahlsieger dem Staatschef den Respekt, der ihm gebührt. Denn der Präsident gilt in Italien als Garant der demokratischen Ordnung. Noch nie hatten es die Parteien gewagt, einem Staatschef in Krisenzeiten die Unterstützung für Technokratenregierungen zu verweigern.

„Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Republik, das eine Legislaturperiode endet, bevor sie begonnen hat“, erklärte Mattarella enttäuscht. „Mein Handy ist immer an“, gab Luigi Di Maio, Chef der Anti-Establishment-Partei Fünf-Sterne-Bewegung ungerührt flapsig zu Protokoll. „Wenn irgendjemand anfangen will, wieder an das Wohl des Landes zu denken, sind wir immer bereit.“ Ebenso wie Di Maio und seine mit 32 Prozent stärkste Einzelpartei fühlt sich Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega berufen, Italien zu regieren. Salvini führt die Mitte-Rechts-Koalition an, die mit 37 Prozent der Stimmen als stärkste Koalition aus den Wahlen hervorging. Di Maio und Salvini verhandelten über eine gemeinsame Regierung. Salvini ist jedoch nur mit, Di Maio ohne Berlusconi zu einem Bündnis bereit.

Mattarella warnt, dass Italien ohne neue Regierung erneuten Spekulationen der Finanzmärkte ausgesetzt wäre. Bereits am Tag nach dem Scheitern der Konsultationen stiegen die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen in die Höhe. Ihre rasante Steigerung hatte 2011 den damaligen Ministerpräsidenten Berlusconi in die Knie gezwungen. Die darauf folgende Technokratenregierung unter Mario Monti stabilisierte das Land mit drastischen Abgabenerhöhungen. Heute wäre die Zustimmung zu einer Übergangsregierung im Interesse aller Parteien. Sie könnten ihr die Verantwortung für Abgabenerhöhungen zuschreiben und wie bisher ungedeckte Neuausgaben versprechen.

Um die Parteien doch noch zur Zustimmung zu einer Übergangsregierung mit wenigen klar definierten Aufgaben zu zwingen, sucht Mattarella nach Persönlichkeiten, die über Wirtschaftskompetenz und eine europäische Ausrichtung verfügen.

Zu den Favoriten gehören mehrere Frauen, die Italien vielleicht eine erste Regierungschefin bescheren könnten. Elisabetta Belloni, die als Generalsekretärin des Außenministeriums der italienischen Diplomatie vorsteht, ist in der engeren Auswahl. Gute Chancen werden auch der Wirtschaftsprofessorin Lucrezia Reichlin eingeräumt, die an der ­London School of Economics lehrt, oder der ehemaligen Präsidentin des italienischen Rundfunks RAI, Anna Maria Tarantola.

Über ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit verfügt unter den möglichen Kandidaten auch der ehemalige Sparkommissar der Regierung, Carlo Cottarelli. Seine Vorschläge zur Senkung der öffentlichen Ausgaben warten noch auf die Umsetzung. Den Reigen vervollständigen mehrere Verfassungsrichter.

Sollten die Wahlsieger wie erwartet der Technokratenregierung die parlamentarische Mehrheit verweigern, stehen Wahlen frühestens am 22. Juli bevor. In den Sommerferien wurden Urnengänge bislang aus Angst vor niedriger Wahlbeteiligung bewusst vermieden. Unabhängig davon sagen Umfragen keine Veränderungen im Vergleich zum Ergebnis der Wahlen vom 4. März bevor. Also alle zurück auf Los.