Berlin.

Es gibt Eltern, die kümmern sich bereits direkt nach der Geburt um einen Platz in der Kita. Andere lassen sich Zeit, bis die Kinder laufen können. Im Alter zwischen drei und sechs gehen schließlich 94 Prozent der Mädchen und Jungen in Deutschland in die Kita. Doch was ist mit den restlichen Kindern? Berliner Forscher sind jetzt in einer neuen Studie der Frage nachgegangen, warum immerhin sechs Prozent der Kinder über drei Jahren keine Kita besuchen – und aus welchen Familien sie kommen. Die Ergebnisse räumen mit einem gängigen Vorurteil auf.

Kinder, die nicht in die Kita gehen, kommen aus schwierigen Verhältnissen. So lautet die pauschale Annahme. Sie führt dazu, dass Politiker und Fachleute über eine Kitapflicht nachdenken - um auch diesen Kindern das nötige Rüstzeug für die Einschulung zu geben. Sie glauben: Wer sein Kind nicht in die Kita schickt, kann es auch nicht auf die Schule vorbereiten. Gemeint sind bildungsferne, sozial schwache Elternhäuser, in denen zudem oft nicht einmal Deutsch gesprochen wird. Doch in der Wirklichkeit trifft das in vielen Fällen gar nicht zu: „Was wir sehen, ist, dass es Kinder aus allen gesellschaftlichen Schichten sind, die nicht in die Kita gehen“, sagt Studienautorin C. Katharina Spieß, Bildungsexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Es sind Kinder aus der Mitte unserer Gesellschaft.“ Eine Kita-Pflicht gehe deswegen am Ziel vorbei.

Die neue Studie wird an diesem Mittwoch veröffentlicht, sie lag unserer Redaktion vorab vor. Die wichtigsten Ergebnisse: Es gibt Gutverdiener, die ihre Kinder zu Hause lassen – und es gibt Geringverdiener, die keine Kita nutzen. Die meisten Eltern finden sich aber im Bereich des unteren Mittelfelds. Bei 57 Prozent der Nicht-Kita-Kinder kommt mindestens ein Elternteil aus einer Zuwandererfamilie. In jeder zweiten Familie laufen überwiegend ausländische Fernsehsender, auch andere Medien werden nicht auf Deutsch konsumiert. Das heißt umgekehrt aber auch: In weit mehr als jeder dritten Familie ist nicht der Zuwandererhintergrund Ursache für die Entscheidung gegen die Kita. Einer der wichtigsten Merkmale im Unterschied zu Kita-Kindern ist die Berufstätigkeit der Mütter: Rund 70 Prozent der Mütter, die ihre Kinder nicht in die Kita schicken, sind nicht erwerbstätig - obwohl viele von ihnen eine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Doch die Kinder hocken nicht den ganzen Tag zu Hause: Die Hälfte der Kinder treibt Sport, jedes fünfte Kind geht in die Musikschule, jedes sechste nimmt an Eltern-Kind-Gruppen teil.

Interessant ist nun, wie die Eltern ihre Kita- Entscheidung erklären: Drei zentrale Gründe werden genannt: Erstens, sie seien sowieso zu Hause und könnten die Betreuung selbst übernehmen. Zweitens, sie möchten das Kind lieber selbst erziehen. Drittens, sie halten das Kind für zu jung, um es in eine Kita zu geben. Unklar ist, welche Rolle die Verfügbarkeit guter Kitaplätze spielt: In der Umfrage sagen 30 Prozent der Eltern, dass es keinen Platz für ihr Kind gab. Gleichzeitig sind Nicht-Kita-Eltern fast genauso zufrieden mit der Betreuungssituation wie Kita-Eltern. „Bei einem nicht so kleinen Anteil der Eltern ist es vermutlich eine bewusste Entscheidung, keine Kita zu nutzen“, resümiert Bildungsforscherin Spieß.

Doch die wenigsten Eltern verfolgen dieses Modell bis zur Einschulung: Je älter die Kinder werden, desto höher wird die Kita-Quote. Während im Jahr 2016 bei den Dreijährigen nur 89 Prozent der Kinder eine Kita besuchten, waren es bei den Fünfjährigen schon 97 Prozent. Doch auch für diese restlichen drei Prozent empfehlen die Studien­autoren keinen Kita-Zwang: „Unsere Untersuchungen sprechen nicht dafür, dass eine Kita-Pflicht die richtige Antwort darauf ist, da eben die Gruppe der Nicht-Kita-Kinder sehr heterogen ist“, sagt Spieß. Besser sei es, alle Eltern davon zu überzeugen, was eine gute Kita bewirken kann.