Berlin.

Inmitten der Pressekonferenz erzählt Horst Seehofer von seiner Kindheit. Als er jung war, habe er abends immer unter die Bettdecke geschaut. Er hätte Angst gehabt, dort könne jemand liegen. Ein Fremder. Ein Einbrecher. Heute ist Seehofer Bundesinnenminister. Gestern stellte der CSU-Politiker in Berlin die jährliche Kriminalstatistik der Polizei vor – in einer Zeit, in der Politik und Medien hitzig über Ausschreitungen auf Demonstrationen, Übergriffe auf Flüchtlingsheime und Straftaten durch Asylbewerber debattieren. Aber Seehofer hat an diesem Tag eine andere Botschaft. „Deutschland ist sicherer geworden.“ Weniger Diebstähle. Weniger Gewalt. Auch die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten geht in Deutschland zurück. Und doch geben Menschen in diesem Land an, sie fühlten sich weniger sicher als noch vor einigen Jahren. Ist das nur „gefühlte Unsicherheit“? Was sagt die Statistik aus?

Zu den Fakten: 2017 registrierte die Polizei 9,6 Prozent weniger Straftaten – 5,76 Millionen Delikte waren es insgesamt. Ein wichtiger Grund für den Rückgang ist: Deutlich weniger Zuwanderer kamen 2017 nach Deutschland – also ermittelte die Polizei selten etwa bei irregulären Grenzübertritten. Davon losgelöst sank jedoch auch die Zahl der Diebstähle um 11,8 Prozent auf 2,09 Millionen Fälle. Mit 23 Prozent besonders stark zurückgegangen sind Wohnungseinbrüche, die aber immer noch 116.540 Fälle ausmachen. Vermehrt scheitern Einbrüche an verbesserten Alarmanlagen oder Schlössern. Landeskriminalämter gründeten Sonderkommissionen im Kampf gegen Einbrecher. Viele Ermittler berichten von organisierten Gruppen etwa aus Georgien, die für Einbruchsserien verantwortlich sein sollen. Hier könnten auch die Grenzkontrollen im Zuge der Flüchtlingskrise etwa zu Österreich einen abschreckenden Effekt auf Kriminelle gehabt haben, sagt Henning Ernst Müller, Professor für Strafrecht an der Universität Regensburg, dieser Redaktion. Belege für die Auswirkungen der Kontrollen fehlen allerdings.

Mehr Gewalttaten von Linksradikalen und Islamisten

Die Polizeistatistik sei vor allem „ein Trend polizeilicher Arbeit“, sagt Müller. „Wo viele Ermittler eingesetzt sind, steigt die Fallzahl.“ Wichtig sei zudem die Bereitschaft der Menschen, Straftaten anzuzeigen. Und dieser Wille ist bei Diebstahl und Einbrüchen besonders hoch – auch weil die Betroffenen den Schaden ihrer Versicherung melden. Laut einer Analyse der Polizei Niedersachsen melden Betroffene 95 Prozent aller Autodiebstähle. Deutlich seltener zeigen Opfer von Körperverletzungen die Täter an – denn häufig kommen diese aus der Familie oder dem Bekanntenkreis. Laut der niedersächsischen Studie bleiben fast zwei Drittel der Fälle von Körperverletzung im Dunkelfeld – sie tauchen in keiner Statistik auf.

Bei den bekannten Fällen von Gewaltverbrechen ist die Zahl in 2017 leicht zurückgegangen. Polizisten registrierten 2,4 Prozent weniger Delikte von Körperverletzung, Totschlag, Raub oder Mord, insgesamt waren es 188.946. Angestiegen sind dagegen die politisch motivierten Gewalttaten durch Linksradikale und Islamisten. Während des G20-Gipfels in Hamburg war es im Sommer 2017 zu schweren Ausschreitungen mit der Polizei gekommen. Im gesamten Jahr registrierten die Behörden einen Anstieg um fast 16 Prozent bei Fällen von „linker Gewalt“ (insgesamt 1967). Von 2013 bis 2016 verzeichnete die Polizei einen Anstieg von Übergriffen von Rechtsextremisten auf Geflüchtete und Asylunterkünfte. Erstmal sank 2017 die Zahl der „Gewalttaten rechts“ wieder, sogar um ein Drittel im Vergleich zu 2016. Dennoch sind Rechtsextremisten noch immer und mit Abstand für die meisten politisch motivierten Straftaten in Deutschland verantwortlich – insgesamt waren es 2017 mehr als 20.000 Delikte, in den meisten Fällen ging es um Propaganda wie Hakenkreuz-Schmierereien. Leicht gestiegen ist die Zahl antisemitischer Vorfälle.

In vielen Bereichen sind Gewalttaten rückläufig – und doch steuern nach Ansicht von Experten gerade diese Delikte das Gefühl von Bedrohung, das laut Umfragen viele Menschen empfinden. Experten wie Thomas Bliesener vom Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen machen auch die Zunahme der Medienberichte über Gewalt für ein „verzerrtes Bild“ verantwortlich. Er ergänzt: „Durch Videoüberwachung haben wir authentische Bilder von schrecklicher Gewalt – das brennt sich in unser Denken ein.“

Doch nicht in allen Feldern der Kriminalität sinkt die Zahl der Straftaten. Rauschgiftdelikte und Wirtschaftkriminalität wie Betrug und Geldwäsche nahmen 2017 zu. Auch Straftaten gegen das Waffengesetz sowie die Verbreitung von Kinderpornografie. Und so sprach Seehofer zwar viel über den Rückgang von Straftaten. Gleichzeitig kündigte er an, mehr Straßen und Plätze zu beleuchten und die Videoüberwachung an Bahnhöfen zu forcieren. Dadurch, so Seehofer, würden sich die Menschen sicherer fühlen.