Moskau.

Hinterher, nach dem Vorbeimarsch des Kreml-Wachregiments, näherte sich Wladimir Putin dem Volk. Genauer gesagt, 1500 handverlesenen Anhängern aus ganz Russland. Junge, schöne Menschen, viele von ihnen trugen T-Shirts mit der Aufschrift „Putin-Team“. Ein Mädchen erklärte dem neuen und alten Präsidenten strahlend: „Wir werden immer mit Ihnen sein.“ Das Publikum passte zur „harmonischen Einheit von freiem Bürger, verantwortlicher Zivilgesellschaft und starken Staat“, die Putin wenige Minuten zuvor selbst beschworen hatte. Unter den Gästen waren zahlreiche Politiker, Militärs, kirchliche Würdenträger, Filmstars und Freunde. Ganz vorne Altbundeskanzler Gerhard Schröder. Er stand zwischen Ex-Präsident Dmitri Medwedew und dem Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche in der ersten Reihe und gehörte zu den drei Gratulanten, die Putin sofort die Hand reichen durften.

Es war eine flotte Amtseinführung. Nur sechs Minuten nach dem Beginn der Zeremonie legte Wladimir Putin seine Hand auf eine in Leder gebundene russische Verfassung und sprach seinen Amtseid. Die 3500 Parlamentarier, Topbeamten, Spitzensportler und Kulturschaffenden, die sich im vergoldeten Andrejew-Saal des Großen Kremlpalastes drängten, sangen die Nationalhymne, dann redete Putin.

Später erfährt Medwedew, dass er im Amt bleibt

Er verspüre in diesen Minuten ganz besonders seine kolossale Verantwortung vor jedem Bürger und ganz Russland, sein Leben und seine Arbeit ziele darauf, den Menschen und dem Vaterland zu dienen. Russland stehe vor historischen Aufgaben, die sein Schicksal auf Jahrzehnte vorherbestimmten, es bedürfe durchbruchartiger Erfolge. „Eine neue Lebensqualität, Wohlstand, Sicherheit und Gesundheit des Menschen, das ist heute das Wichtigste“, sagte Putin. Sein Land sei in seiner tausendjährigen Geschichte wiederholt in Zeiten der Wirren geraten. „Und immer ist es als Phönix aus der Asche hervor gestiegen, hat als unerreichbar geltende Höhen bezwungen, für die anderen die Kraft fehlte. Für unser Land aber wurden sie zur Sprungschanze für weitere gewaltige Schritte nach vorn.“

Wladimir Putin, 65, hatte das höchste Amt Russlands von 2000 bis 2008 und seit 2012 inne. Bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen gewann er fast 77 Prozent der Stimmen. Allerdings war mit dem Nationalliberalen Alexei Nawalny sein entschlossenster Konkurrent erst gar nicht zu den Wahlen zugelassen worden. Auf Nawalnys Initiative hatte es am Sonnabend unter der Parole „Du bist uns kein Zar!“ landesweite Proteste gegen Putins vierte Amtszeit gegeben, dabei waren Nawalny und über 1500 andere Demonstranten festgenommen worden.

Unter den Gästen bei der Zeremonie waren auch der Hollywood-Altmime Steven Seagal und Alexander Saldostanow, der Führer der nationalistischen Biker-Gang „Nachtwölfe“. Er erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Ria Nowosti, er habe sich zu dem Anlass erstmals ein weißes Hemd angezogen. Doch während Putin sprach, blieben die staatlichen TV-Kameras vor allem an dem deutschen Altbundeskanzler Gerhard Schröder hängen. Allerdings galt diese Aufmerksamkeit wohl vor allem Schröders Nachbarn Medwedew, der laut Verfassung zu Putins Amtsantritt mit dem gesamten Kabinett seinen Abschied nehmen musste. Und dessen politische Zukunft damit zumindest für Stunden ungewiss war.

Nach Putins Rede stimmte ein Chor die alte Zarenhymne „Rühme dich, Russland-Heimat, rühme dich“ an, das Publikum klatschte rhythmisch, der Präsident aber stieg gelassen vom Podium herab, schüttelte Kirill, Schröder und Medwedew die Hand. Medwedew verzog dabei keine Miene. Erst drei Stunden nach seinem eigenen Amtseid schlug der Präsident dann seinen Getreuen Medwedew wieder zum Premierminister vor. Dass die Staatsduma diese Kandidatur in den nächsten Tagen bestätigen wird, gilt als Formsache, es wird allerdings erwartet, dass einige Minister ihre Posten verlieren.

Im Andrejew-Saal war am Montag auch Vizepremier Arkadi Dworkowitsch zu sehen, unrasiert und gequält lächelnd. Wie das Journal „New Times“ schreibt, droht ihm zumindest ein Entzug wichtiger Zuständigkeiten. Im März waren die Gebrüder Sijawidun und Magomed Magomedow verhaftet worden, die als Geschäftsleute unter Medwedew und Dvorkowitsch mit undurchsichtigen Geschäften Dollarmilliarden verdient hatten. Das Strafverfahren gegen sie wurde in Moskau als Anzeichen gewertet, dass Premier und Vizepremier Putins Gunst verloren haben könnten.

Medwedew aber gehörte schon in den 90er-Jahren im Petersburger Rathaus zu den engsten Mitarbeitern des damaligen Vizebürgermeisters Putin. „Er ist der einzige Mensch, dem Putin vertraut“, zitiert das Wirtschaftsportal RBK einen anonymen Kremlbeamten. Und nach Ansicht vieler Experten bedeutet Medwedews Neuernennung, dass sich in Russland wenig ändern wird. „Alles bleibt, wie es ist“, sagt der Petersburger Politologe Dmitri Trawin dieser Redaktion: „Putin setzt seine Außenpolitik und Medwedew seine Wirtschaftspolitik fort, ernsthafte Reformen finden nicht statt, einzig die Steuern werden sie erhöhen und das Rentenalter heraufsetzen.“ Auch wenn man einige Minister entlasse, würden diese kaum durch starke Kandidaten ersetzt, die eine eigenständige Politik riskierten. „Die Stagnation geht weiter.“

Putin fuhr am Montag die wenigen Meter von seinem Büro im Kreml zum Großen Kremlpalast in einer brandneuen, schwarzen Panzerlimousine der neuen vaterländischen Marke EMP. „Wir erleben heute die Präsentation einer neuen Automarke russischer Produktion“, jubelte der Korrespondent des Nachrichtensenders Rossija 24. Das neue Luxusautomobil, das bisher als Projekt „Kortesch“ bekannt war, solle nicht nur als Limousine, sondern auch als Sedan in Serie gehen.

Putin aber wird in den nächsten Wochen auf seinen Sommersitz nach Sotschi reisen, wo er am 18. Mai Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gesprächen erwartet. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will Putin noch im Frühjahr besuchen. Macron erklärte am Sonntag, er hoffe auf einen kons­truktiven Dialog, gäbe sich aber keinen Illusionen hin.