Berlin. Erst traf sich das Kabinett in Meseberg, jetzt kommen die Spitzen der Regierungsfraktionen auf der Zugspitze zusammen. Es gibt großen Gesprächsbedarf

Der Wettergott scheint den Berliner Koalitionären hold zu sein: Wenn sich Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt am heutigen Montag auf der Panoramaterrasse der Zugspitz-Seilbahn vor spektakulärer Bergkulisse bei einem gemeinsamen Auftritt fotografieren lassen, wird den aktuellen Vorhersagen nach die Sonne scheinen.

Ein Koalitionsgipfel auf der 2962 Meter hohen Zugspitze, Deutschlands höchstem Berg, ist genau nach dem Geschmack von CSU-Mann Alexander Dobrindt. In seinem Wahlkreis liegt der Gipfelort, wo sich die Vorstände der Bundestagsfraktionen abstimmen und über künftige Projekte beraten wollen.

Einig sind sich die Vorsitzenden der Fraktionen von Union und SPD darin, sich selbst als Machtzentrum in dieser Legislatur zu begreifen. Das verdeutlicht die mit viel Aufwand vorbereitete Fraktionsklausur. Das Treffen des Kabinetts im brandenburgischen Meseberg wirkte regelrecht bescheiden dagegen. Doch hinter den Kulissen knatscht es in der Koalition gewaltig. Gesetzesvorhaben, die derzeit in der Abstimmung sind, bergen gehöriges Konfliktpotenzial. Ein Überblick:

Abschiebung
Die Vorfälle in einer Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen verliehen der Diskussion um die Flüchtlingspolitik neuen Schwung. Dobrindt erklärte in der „Bild am Sonntag“, es sei nicht akzeptabel, „dass durch eine aggressive Anti-Abschiebe-Industrie bewusst die Bemühungen des Rechtsstaates sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit provoziert wird“. Dobrindt sagte, wer mit Klagen versuche, die Abschiebung von Kriminellen zu verhindern, arbeite nicht für das Recht auf Asyl, sondern gegen den gesellschaftlichen Frieden. Auch die von CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer geplanten Asyl- und Abschiebezentren, die Anker-Zentren, stoßen bislang auf wenig Interessenten bei den SPD-geführten Bundesländern. Die Sozialdemokraten forderten Seehofer stattdessen auf, rasch für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. „Seehofer sollte noch vor der Sommerpause konkrete Schritte unternehmen, um den Wohnungsbau zu fördern“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil dieser Redaktion. Mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, sei eine große soziale Frage. „Horst Seehofer muss das endlich angehen, statt nur Symboldebatten zu führen. Von Bayern-Wahlkampf und Islam-Debatten werden die Mieten nicht sinken.“

Teilzeit/Vollzeit-Gesetz
Das Gesetz für ein Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit hatte sich die große Koalition schon in der vergangenen Legislaturperiode vorgenommen. Es wurde nie umgesetzt. Doch jetzt soll Ende Mai der Entwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ins Kabinett. Kern des Gesetzes ist die neue Möglichkeit, Teilzeit von vorneherein zu befristen, um dann wieder in Vollzeit zu arbeiten.

Heils Entwurf sieht bislang vor, dass Arbeitgeber bei Ablehnung eines Wunsches nach Vollzeit künftig nachweisen müssen, dass sie keine geeignete Stelle verfügbar haben. Diese Neuregelung kritisiert der Wirtschaftsflügel der Union scharf. „Das Gesetz zur Regelung von Teilzeitarbeit ist ein weiteres Beispiel dafür, wie widersprüchlich und inkonsistent die SPD handelt“, sagte der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, dieser Redaktion. Für die Unternehmen bedeute das nach gesetzlichem Mindestlohn und Entgeltgleichheitsgesetz die dritte „große Bürokratiekeule“. Es sei zu befürchten, „dass die Gesetzesinitiative zum Einstellungshemmnis für Frauen wird“, sagte Steiger. Denn mittelständische Betriebe wären oftmals damit überfordert, Vollzeitarbeitsplätze für ihre bisherigen Teilzeitbeschäftigten zu schaffen. Einige würden daher davor zurückschrecken, Arbeitskräfte einzustellen, bei denen ein Wechselwunsch wahrscheinlich sei. Und das betreffe Frauen häufiger als Männer, so Steiger.

Haushalt
Die Koalition streitet außerdem heftig über die Ausgaben für die Verteidigung. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) warf der SPD vor, taktische Spiele auf dem Rücken der Soldaten auszutragen. Kauder warnte den Koalitionspartner vor weiteren Attacken wie der des SPD-Haushälters Johannes Kahrs, der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Missmanagement vorgeworfen hatte. Solche unqualifizierten Angriffe belasteten das Klima in der Koalition. Rauer kann der Ton zwischen den Partnern kaum werden.

Krankenkassen

Für mächtig Ärger hat auch der erste Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gesorgt. Er hatte nicht nur die SPD-Abgeordneten, sondern auch Spahns eigene Leute relativ unvorbereitet und zu einem überraschenden Zeitpunkt erreicht. Der Unmut in der Fraktion war dementsprechend groß. Außerdem: Spahn hatte mehr in den Gesetzentwurf hineinschreiben lassen, als ursprünglich besprochen war. Beispielsweise will der Minister die Geldreserven der Krankenkassen auflösen, die diese sich in einer rechtlichen Grauzone in den vergangenen Monaten zugelegt hatten. Die SPD meint, Beitragssenkungen seien nicht möglich, außerdem wären nur ganz wenige Krankenkassen davon betroffen. Andere Regeln, die die Krankenkassenbeiträge für kleine Selbstständige betreffen, wollen die Sozialdemokraten hingegen akzeptieren, weil sie sie für richtig halten. Noch glauben die großkoalitionären Gesundheitspolitiker, dass sie die Probleme auf der Fachebene lösen. Die Fraktionsspitze müsse noch nicht eingreifen, sagte Lauterbach.

Paragraf 219a
Anders sieht es beim umstrittenen Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche aus. Selbst ein Treffen auf Ministerebene konnte die Differenzen zwischen Union und SPD bei diesem Thema nicht ausräumen. Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs verbietet es Ärzten, darauf hinzuweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Die Sozialdemokraten argumentieren, dass auch wichtige sachliche Informationen damit unterbunden würden. Der SPD-Parteivorstand hat der Union deshalb eine Frist bis zum Herbst gesetzt, um einen abgestimmten Gesetzentwurf vorzulegen. Ansonsten müsse in Gesprächen mit „reformwilligen Fraktionen bzw. Abgeordneten“ nach einer Lösung gesucht werden. Die SPD droht also damit, sich andere parlamentarische Mehrheiten zu suchen, um die Union zu überstimmen. Eine Drohung, die man „dringend unterlassen sollte“, schimpfte CSU-Landesgruppenchef Dobrindt nach dem SPD-Beschluss. Die Koalition müsse Dinge intern klären. Vielleicht trägt die Höhenluft auf der Zugspitze ja dazu bei.