Washington/Jerusalem. Konflikt um das Nuklear-Abkommen wird immer mehr zu einer globalen Krise. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen

Noch ist es ein Krieg der Worte und Deutungen: Doch der Streit um das Atomabkommen mit dem Iran hat alle Zutaten, um sich zu einer globalen Krise auszuweiten. US-Präsident Donald Trump hegt grundsätzlichen Bedenken gegen den Vertrag. Er will bis zum 12. Mai entscheiden, ob er neue Sanktionen gegen den Iran verhängt und das Abkommen damit faktisch aufkündigt. Am Montagabend hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Videos, Fotos und Grafiken vorgestellt und Irans Führung vorgeworfen, sie habe heimlich umfangreiches Know-how zum Atomwaffenbau aufbewahrt, Teheran wies die Vorwürfe umgehend zurück. Westliche Staaten reagierten zurückhaltend. Worum geht es in dem Streit?

Was ist durch das Atomabkommen
geregelt?

Das Abkommen hatten die fünf UN-Vetomächte – USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien – und Deutschland 2015 mit dem Iran geschlossen. Mit dem JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) verpflichtete sich der Iran zu einer radikalen Einschränkung seiner Uran-Anreicherungskapazitäten. Teheran sagte außerdem zu, dass Inspektoren der internationalen Atomaufsichtsbehörde (IAEA) dauerhaft die Nuklearanlagen untersuchen können. Im Gegenzug wurden die Sanktionen gegen Teheran aufgehoben.

Was im Juli 2015 verabschiedet wurde, „bildet das damals Machbare ab“, sagte ein an den Verhandlungen beteiligter deutscher Diplomat dieser Zeitung. Zu den größten Schwachpunkten gehört die begrenzte Laufzeit. Israels Generalstabschef Gadi Eisenkot sagt, dass Irans atomare Ambitionen nur um maximal 15 Jahre durch das Abkommen auf Eis gelegt sind. Außerdem kann der Iran seine Raketensysteme weiter unbegrenzt optimieren. Durch ein Zusatzabkommen sollen laut Frankreichs Präsident Emmanuel Macron diese Lücken geschlossen werden.

Unterläuft das Mullah-Regime
das Atomabkommen ?

Sowohl die IAEA in Wien als auch das US-Außenministerium und die amerikanischen Geheimdienste sagen offiziell: „Bisher, nein.“ Bei allen Prüfungen haben sich seit Mitte 2015 keine Indizien finden lassen, dass Teheran etwa bei der Uran-Anreicherung gegen Auflagen verstößt und heimlich den Bau einer Atombombe vorantreibt. Diese Einschätzung teilen auch die übrigen Partner im Atomabkommen China, Russland, Frankreich, England und Deutschland.

Wie erklärt sich die massive Kritik
von US-Präsident Donald Trump?

Trump und sein neuer Außenminister Mike Pompeo sagen, dass der Iran gegen den „Geist“ des Abkommens verstößt. Als Beleg wird jetzt das vom israelischen Geheimdienst Mossad beschaffte Daten-Material herangezogen. Danach habe Teheran bis Mitte der 2000er-Jahre sehr wohl ein Atomprogramm („Projekt Amad“) betrieben, dies aber bis zuletzt geleugnet. Weil sämtliche Blaupausen sowie Personal und Technik im Stile eines Vorratsbeschlusses gebunkert worden seien, müsse man davon ausgehen, dass der Iran nach Auslaufen der ersten Beschränkungen des Abkommens im Jahr 2026 die Entwicklung von Nuklearwaffen fortsetzen wolle.

Wie neu sind die Erkenntnisse
der Israelis?

US-Geheimdienste wussten bereits 2007, dass der Iran bis circa 2003 versucht hat, atomare Sprengköpfe zu bauen. Das war mit der Hauptgrund für das heutige Abkommen. Es basiert auf der Überzeugung, dass man den Beteuerungen Teherans – „wir wollen Atom-Energie nur für friedliche Zwecke nutzen“ – keinen Glauben schenken kann, sondern Kontrollen und Ahndung von Verstößen das bessere Vorgehen sind.

Werden die USA das Atomabkommen
kündigen?

Tendenz: ja. Ob es aber tatsächlich bis zum 12. Mai so kommt, bleibt bis zur letzten Minute offen. Trump bezeichnete den Vertrag bereits im Wahlkampf als „katastrophalen Deal“. Durch die israelischen Geheimdiensterkenntnisse fühlt Trump sich „zu 100 Prozent bestätigt“, dass man Teheran nicht trauen kann. Aber es gibt widerstreitende Lager in der US-Regierung. Außenminister Pompeo und der neue Nationale Sicherheitsberater John Bolton sind für die harte Linie – Ausstieg. Verteidigungsminister James Mattis betonte zuletzt demonstrativ, wie „robust“ der Atomvertrag sei. Ihn treibt die Frage um, was nach einer Aufkündigung käme.

Was hat es mit dem Stichtag 12. Mai
auf sich?

Nach gesetzlicher Vorgabe muss Trump bis dahin entscheiden, ob kleinere Wirtschaftssanktionen gegen den Iran, die an die Erfüllung des Atomvertrages gebunden sind, weiter ausgesetzt bleiben. Treten sie wieder in Kraft, könnte das der Einstieg in den Ausstieg bedeuten; auch auf Teheraner Seite. Aber: Das entscheidendere Datum ist erst Mitte Juli. Dann muss Trump über die Zukunft von derzeit ausgesetzten Strafen entscheiden (Stichwort: Schiffstransporte für Öl), die den Iran wirklich massiv treffen würden.

Wächst die Kriegsgefahr im
Nahen Osten?

Ein Rückzug der USA aus dem Abkommen hätte eine Destabilisierung an vielen Fronten zur Folge. Der Iran könnte in einem solchen Fall erklären, dass er die Uran-Anreicherung wieder voll anfährt und sich Kontrollen der IAEA in Wien entzieht. Israel könnte allein oder gemeinsam mit den USA auf die Idee kommen, Teheran militärisch zu konfrontieren. Das hätte unabsehbare Folgen. In deutschen Regierungskreisen betont man daher, dass das Abkommen, auch wenn es nicht perfekt ist, auf jeden Fall eine stabilisierende Wirkung auf die Region hat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will deswegen daran festhalten. „Unsere Haltung ist, dass der Vertrag nicht gekündigt wird.“ Allerdings müsse man die Gespräche mit dem Iran ausweiten, weil es etwa Probleme mit dem iranischen Einfluss in Syrien gebe. Zugleich forderte Merkel Israel auf, schnell die Informationen über das mutmaßliche iranische Atomprogramm an die IAEA zu übergeben, damit sie dort geprüft werden könnten.