Brüssel.

Auch erfahrenen Katastrophenhelfern fällt es schwer, die Lage im Bürgerkriegsland Syrien angemessen zu beschreiben: Von einer „enormen menschlichen Tragödie“ spricht in Brüssel der EU-Kommissar für Krisenhilfe, Christos Stylianides. UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock sagt: „In Syrien erlebt die Welt die größte humanitäre Krise unserer Zeit.“ Die Lage habe sich seit Anfang des Jahres noch verschlechtert, schildert Lowcock mit leiser Stimme den Teilnehmern der internationalen Syrien-Konferenz in Brüssel. Weitere 700.000 Menschen seien seit Januar auf der Flucht, sechs Millionen in Syrien vertrieben, 13 Millionen lebten unter erbärmlichen Bedingungen und bräuchten Hilfe. „Millionen Kinder dort kennen keinen Frieden“, berichtet Lowcock.

Nicht einmal die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen in Syrien funktioniere, jede dritte Schule sei zerstört. Und jetzt droht in der nordsyrischen Region Idlib, die Machthaber Baschar al-Assad zurückerobern will, eine neue Katastrophe. Immer mehr Menschen sind in Not – und die finanziellen Möglichkeiten der Vereinten Nationen erschöpft. Wenigstens dieser Hilferuf wurde am Mittwoch bei der Geberkonferenz von EU und UN in Brüssel erhört: Neue Milliardenhilfen für Nahrungsmittel und medizinische Hilfe für die syrische Zivilbevölkerung sagte die Konferenz von 80 Staaten und internationalen Organisationen zu. Allein von Deutschland kommt eine Milliarde Euro für dieses und das nächste Jahr, wie Außenminister Heiko Maas (SPD) ankündigte. Ein Nachschlag von weiteren 300 Millionen ist avisiert, dafür muss aber erst der neue Bundeshaushalt die Genehmigung erteilen. Seit Beginn der Krise hat die Bundesregierung bereits 4,5 Milliarden an Mitteln für Syrien bereitgestellt. „Deutschland bleibt einer der größten und zuverlässigsten Geldgeber“, sagte Maas.

Die Milliarden sind wohl auch gut angelegt, wie das Welternährungsprogramm vorrechnet: Einen Syrer in der Region zu ernähren, koste 50 Cent am Tag – ihn als Flüchtling in Deutschland unterzubringen und zu versorgen, koste 50 Euro täglich. Doch eine solche Rechnung stellt sich nicht für alle Staaten. Und so fielen die Hilfszusagen für das laufende Jahr bis zum Nachmittag mit rund 3,6 Milliarden Euro geringer aus als von den Organisatoren erhofft – die hatten auf sechs Milliarden spekuliert. Lowcock erklärte das Ergebnis damit, dass unter anderem die USA noch keine festen Zusagen gemacht hätten. Nicht nur die Geldeinwerbung verlief holpriger als gedacht. Auch das zweite Ziel, das sich vor allem die EU gesetzt hatte, erwies sich als schwer erreichbar: Brüsseler Spitzendiplomaten hatten schon im Vorfeld angekündigt, dass von der Konferenz ein neuer Impuls für Friedensgespräche unter UN-Verantwortung ausgehen solle. Doch konkrete Vorschläge, wie die blockierten Genfer Friedensverhandlungen wieder starten könnten, blieben aus. Russland kündigte stattdessen an, am Wochenende mit der Türkei und dem Iran über die Zukunft Syriens sprechen zu wollen, was als Konkurrenz zu den Genfer Verhandlungen verstanden werden darf. Vor allem Russland, aber auch der Iran gehört bisher zu den wichtigsten Helfern von Syriens Präsident Baschar al-Assad.

Teilnehmer aus Syrien waren erst gar nicht geladen: Die unversöhnliche Haltung von Opposition und Regierung ermögliche keine vernünftigen Gespräche, hieß es bei EU-Diplomaten. Die russische Delegation nannte es indes einen Fehler, dass niemand die syrische Bevölkerung vertrete. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini meinte, beim Treffen seien durchaus gemeinsame Grundlagen entwickelt worden: Man sei sich einig, dass der Konflikt nicht militärisch, sondern politisch gelöst werden müsse – mit der Uno in der Schlüsselrolle.

„Kein echter Durchbruch“, kommentierte UN-Koordinator Lowcock, aber damit sei auch nicht zu rechnen gewesen. Immerhin sei der Ton unter den Teilnehmern nicht konfrontativ gewesen – wo doch vor einer Woche die Rhetorik des Kalten Krieges geherrscht und eine echte Krise gedroht habe. Jetzt würden aber hochrangige diplomatische Kontakte gebraucht, um den Friedensprozess in Schwung zu bringen. Am Donnerstag will eine kleine Kerngruppe westlicher Staaten auf Einladung Frankreichs in Paris mit Partnern aus der Nahost-Region beraten, wie man mit Russland wieder ins Gespräch kommen kann. Maas wird daran teilnehmen, ein diplomatischer Erfolg für den Minister.

Die EU macht auf ihre Weise Druck. Mogherini stellte klar: „Die EU und die internationale Gemeinschaft werden sich nur dann am Wiederaufbau Syriens beteiligen, wenn es einen politischen Prozess unter Schirmherrschaft der UN gibt.“ Eine Drohkulisse, die Russland und Iran auf längere Sicht wohl nicht ­ignorieren können: Die Kosten für den Wiederaufbau des Landes werden auf mindestens 250 Milliarden Dollar geschätzt. Doch aus EU-Sicht läuft andererseits die Zeit davon, um das Ziel für ein am Ende demokratisches und vereintes Syrien zu erreichen: Ohne politische Gespräche unter UN-Dach sei es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste militärische Eskalation drohe, warnt Mogherini. Täglich wachse die Gefahr, dass das Land in Einflusszonen anderer Mächte zersplittere.