Berlin.

Er ist wieder da, unvermittelt auf dem Schirm von Polizei, Geheimdiensten und Justiz: Mohammad Haymar Zammar, ein Untoter des internationalen Terrorismus, einer, dessen Fall die deutschen Sicherheitsbehörden seit 17 Jahren umtreibt und den man zeitweise für erledigt gehalten hatte.

Der Deutsch-Syrer wurde gesucht, gefasst, verschleppt, verhört, vermutlich gefoltert, verhaftet, zum Tode verurteilt, verschont und nach einigen Jahren ausgetauscht. Er tauchte ab, lief zu Islamisten über und fiel vor einigen Tagen der kurdischen Miliz YPG in die Hände.

Was macht die deutsche Regierung? Betreibt sie seine Auslieferung? Die Antworten darauf sind nicht banal, sie berühren ethische Fragen der politischen Verantwortung. Schließlich planen Union und SPD ein Gesetz, um zumindest die Doppelstaatler unter den Terroristen ausbürgern und an der Einreise hindern zu können. Das Sankt-Florians-Prinzip bei der Fahndung ist faktisch wie ethisch dem Verhalten Tunesiens im Fall des Berliner Attentäters Anis Amri nicht unähnlich; den hielten sich die Behörden in Tunis auf Distanz.

Gegen den Dschihadisten liegt bislang kein Haftbefehl vor

Rojava, Syrisch-Kurdistan: Ein Sprecher von Tev-Dem, einem Parteienbündnis um die dort regierende PYD, bestätigt unserer Redaktion, dass seine Organisation derzeit etwa 400 ausländische IS-Kämpfer inhaftiert hätte, darunter auch „einige wenige“ Deutsche. Bekannt sind die Fälle Fared S. aus Bonn und Dominic R. aus Frankfurt. Und eben Zammar. Er werde in der früheren IS-Hauptstadt Rakka verhört, wie ein Kommandeur der Nachrichtenagentur AFP mitteilte.

Solche Gefangene sind eine Last. Sie gelten als gefährlich, müssen versorgt werden und binden Kräfte. Die Kurden würden sie gern loswerden, wie Nouri Mahmoud, der Sprecher der YPG, unserer Redaktion erklärt: „Wir sind mit ihren Regierungen im Kontakt. Sie sagen uns immer wieder, dass sie sie herausholen, aber sie tun es nicht.“ Und weiter: „Eure Regierungen müssen für Sicherheit sorgen und dafür, dass diese Leute vor Gericht gestellt werden.“ Er wisse nicht, wie lange diese Situation beherrscht werden könne. Im Klartext: Die YPG behält sich vor, Leute wie Zammar zur Not auf freien Fuß zu setzen.

Kurdische Kämpfer erzählen sich, während der Mossul-Offensive wären französische Kill-Teams unterwegs gewesen, um französische Terroristen zu liquidieren. Der deutsche Umgang mit Gefährdern ist subtiler, auch förmlicher. Das Verfahren kommt nur schleppend voran und wird politisch intransparent behandelt. Die Geheimdienste und der Generalbundesanwalt mauern, das Innenministerium verweist auf das Auswärtige Amt – und Minister Heiko Maas (SPD) schweigt.

Im Irak kann das Auswärtige Amt die Inhaftierung zehn deutscher Staatsangehöriger bestätigen. Die Diplomaten kennen zwar Fälle deutscher Staatsangehöriger, die sich in Nord-Syrien in Gewahrsam befinden sollen, aber sie haben keine eigenen Erkenntnisse. Offiziell wissen sie nichts, die Botschaft in Damaskus ist geschlossen, eine konsularische Betreuung findet nicht statt. Zammar habe bisher auch nicht darum gebeten, wie es heißt.

Nach Informationen dieser Zeitung läuft in Deutschland zwar ein Verfahren, aber es liegt so wenig gegen ihn vor, dass ein Haftbefehl fehlt. Ohne diesen kann man keine Auslieferung beantragen. Die normale Vorgehensweise wäre jetzt, zu prüfen, wie gefährlich Zammar ist und womit er den Ermittlern noch nützen könnte. Würde man ihn als Gefährder einschätzen und trotzdem heimholen, müsste er rund um die Uhr überwacht werden – ein Mega-Aufwand. Es wäre Aufgabe des Bundesnachrichtendienstes (BND), die Kurden zu kontaktieren und vor Ort die Identität des Gefangenen zu klären. Für den Geheimdienst wäre die Kontaktaufnahme unkomplizierter als für Diplomaten – ein Auslieferungsverfahren setzt einen Partnerstaat voraus. Wer sollte das sein? Syrien, der Irak oder die kurdische YPG? Es wundert nicht, dass die deutschen Behörden sich zieren. Der Fall ist kein Ruhmesblatt.

Rückblick: Zammar, 1961 in Syrien geboren, als Zehnjähriger mit den Eltern nach Deutschland geflohen, lebt zur gleichen Zeit in Hamburg wie die Mitglieder der Terrorzelle um Mohammed Atta. Einen Monat nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York kauft er sich ein Flugticket nach Marokko; längst wird er observiert und abgehört.

Es ist die hohe Zeit der Terrorismusbekämpfung. Dass der Anschlag in New York ausgerechnet in Hamburg geplant worden war, ist der Bundesregierung peinlich, aber nicht mehr zu ändern. Den Makel macht sie wett mit umso größerem Kooperationseifer. Der US-Geheimdienst CIA bekommt alles: Geburtsdatum und Anschrift, Handy- und Passnummern oder das Datum der deutschen Einbürgerungsurkunde für Zammar aus dem Jahr 1982. Nicht zweifelsfrei geklärt ist, ob er die syrische Staatsbürgerschaft noch behalten hat. Das wäre relevant, falls die Koalition ihren Plan vorantreibt, den Doppelstaatlern unter den „Gotteskriegern“ den deutschen Pass zu entziehen.

Für die Amerikaner wird Zammar zur Zielperson. In ihrem Auftrag wird er am 8. Dezember 2001 von marokkanischen Sicherheitskräften festgenommen. Um Leute wie ihn unbehelligt verhören zu können, werden Entführte in Drittstaaten verschleppt, nach Ägypten oder nach Syrien, damals noch ein geschätzter Partner der USA. Tatsächlich landet Zammar in einem Gefängnis in Damaskus. Die Amerikaner liefern die Fragen, die Syrer stellen sie auf ihre Art. Zammar wird geschlagen, jedenfalls klagt er darüber gegenüber vier BND-Mitarbeitern und zwei Beamten des Bundeskriminalamtes, die extra nach Damaskus reisen, um ihn zu verhören.

Ein Untersuchungsausschuss wird Jahre später im Bundestag der Frage nachgehen, ob die Regierung in die Entführung von Zammar verstrickt war, und ob sie sich mit einem Folterstaat gemein gemacht hat. Jahrelang verfolgt der Fall den heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier – als Kanzleramtschef und Außenminister. Für ihn muss die Nachricht von der Festnahme Zammars wie ein spätes Echo klingen.

2013 kommt er bei einem Gefangenenaustausch frei

2007 wird Zammar in Syrien wegen Mitgliedschaft in der verbotenen Muslimbruderschaft zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung findet nicht statt, und das Urteil wird in eine zwölfjährige Haftstrafe umgewandelt, die er im Gefängnis in Aleppo absitzt. 2013 kommt der Deutsch-Syrer dann bei einem Gefangenenaustausch frei und schließt sich wohl den Dschihadisten an. Erst seine Festnahme schreckt die Behörden auf: Zammar ist wieder auf dem Schirm.