Berlin. Beim Sonderparteitag in Wiesbaden fordert die Flensburger Bürgermeisterin die haushohe Favoritin Andrea Nahles heraus – Diskussion um Syrien und Russland

Es wird die erste Kampfabstimmung um den SPD-Vorsitz seit 1995: Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange fordert an diesem Sonntag die haushohe Favoritin und Vertreterin des Partei-Establishments, Andrea Nahles, heraus. Zunächst wollte die Parteiführung der unbequemen Lange nur zehn Minuten für ihre Bewerbung beim Sonderparteitag in Wiesbaden zubilligen. Nun kündigte Generalsekretär Lars Klingbeil in Berlin an, beide Kandidatinnen sollten jeweils 30 Minuten erhalten, um sich vor den rund 600 Delegierten zu präsentieren.

Vorgesehen ist auch eine Fragerunde. Über den genauen Ablauf muss aber noch am Sonnabend der SPD-Vorstand entscheiden. „Es sollte da aber keinen Streit über das Verfahren geben“, sagte Klingbeil. Lange, die früher als Sachbearbeiterin bei der Polizei arbeitete und seit Anfang 2017 im Flensburger Rathaus das Sagen hat, versucht, sich als Gegenentwurf zu Nahles und Kandidatin der Basis zu inszenieren. „Die Partei braucht einen zweiten Kopf an der Spitze und kein Weiter-so. Ich möchte meine große kommunalpolitische Kompetenz einbringen. Ich weiß besser als Frau Nahles, wo und wie das wahre Leben spielt“, sagte sie kürzlich dieser Redaktion.

Lange werden bis zu 20 Prozent zugetraut

So will Lange das Hartz-IV-Sozialssystem abschaffen und durch eine Art Grundeinkommen ersetzen. In Parteikreisen wird der 41-Jährigen zugetraut, bis zu 20 Prozent der Stimmen in Wiesbaden zu bekommen.

Nahles wiederum will als erste Frau in der 155-jährigen Parteigeschichte an die Spitze rücken, um die angeschlagene SPD in der Regierung zu erneuern. Ein Ergebnis von unter 80 Prozent wäre für Nahles sicher ein Dämpfer. Den Fraktionsvorsitz im Bundestag will Nahles neben der Parteiführung behalten. Die 47-Jährige war vom SPD-Vorstand einstimmig nominiert worden. Bisher gab es nur beim Parteitag 1995 in Mannheim eine Kampfkandidatur, als Oskar Lafontaine den Vorsitzenden Rudolf Scharping stürzte – begeistert unterstützt von der damaligen Juso-Vorsitzenden Nahles. In Wiesbaden, wo der vierte SPD-Parteitag binnen 13 Monaten stattfindet, will wohl auch der zurückgetretene Vorsitzende Martin Schulz sprechen. Der gescheiterte Kanzlerkandidat und frühere EU-Parlamentspräsident sorgt sich um sein europapolitisches Erbe. Zuletzt hatte sich SPD-Finanzminister Olaf Scholz skeptisch gezeigt, was die Europa-Reformagenda des französischen Präsidenten Emmanuel Macron angeht. Schulz hatte durchgesetzt, dass ein „Aufbruch für Europa“ zentrales Thema des schwarz-roten Koalitionsvertrages wurde.

Für Gesprächsstoff wird in Wiesbaden sorgen, welche Haltung die SPD im Syrien-Konflikt und gegenüber Russland einnehmen soll. Für Unruhe in den ostdeutschen, historisch bedingt eher russlandfreundlichen SPD-Landesverbänden sorgt eine härtere Gangart von Außenminister Heiko Maas gegenüber Moskau. Der Gabriel-Nachfolger im Außenamt hatte gesagt: „Russland hat sich selbst immer mehr in Abgrenzung und teilweise Gegnerschaft zum Westen definiert.“ Leider agiere Russland „zunehmend feindselig“. Aufmerksam wurde in der SPD registriert, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier daraufhin warnte, „ganz unabhängig von Putin – wir dürfen nicht Russland insgesamt, das Land und seine Menschen, zum Feind erklären“. Aufgabe der Bundesregierung sei es, „dieser gefährlichen Entfremdung entgegenzuwirken“. Nahles erklärte am Wochenende bei einem Parteitermin, sie wolle die SPD als Friedensmacht stärken, dazu gehöre eine Annäherung an Moskau: „Dieses Sterben und Morden in Syrien wird nur beendet durch eine diplomatische Lösung mit Russland.“

Der Parteitag soll außerdem das Reformprogramm der SPD-Spitze beschließen. Nahles hatte beim Mitgliedervotum versprochen, dass die SPD trotz der erneuten GroKo mit der Union ihr Profil schärfen wolle. Dazu sollen die 460.000 Mitglieder stärker beteiligt werden – an einer ersten Online-Befragung nahmen jetzt knapp 50.000 Genossen teil.