Washington/Berlin.

Nicholas Burns ist an irritierende Twitter-Botschaften Donald Trumps gewöhnt. Was der amerikanische Präsident am Mittwochmorgen im Syrien-Konflikt vom Stapel ließ, trieb dem ehemaligen US-Botschafter bei der Nato jedoch die Schweißperlen auf die Stirn. Zuerst hatte Russlands Botschafter im Libanon, Alexander Sasypkin, erklärt, sollten die USA Syrien mit Raketen angreifen, dann würden diese abgeschossen und auch die Abschussvorrichtungen, US-Schiffe im Mittelmeer, ins Visier genommen. Danach fühlte sich Trump zum rhetorischen Gegenangriff gegen die Schutzmacht des Diktators genötigt.

„Russland hat geschworen, alle Raketen abzuschießen, die auf Syrien abgefeuert werden“, schrieb der Präsident um 6.57 Uhr und drohte: „Mach dich bereit, Russland, denn sie werden kommen, schön und neu und smart! Du solltest dich nicht mit einem Tier verbünden, das mit Gas mordet, und sein Volk tötet und sich daran erfreut.“ Für Burns ein schwerer Fehler: „Das ist kein Videospiel. Der Präsident der Vereinigten Staaten muss ruhig bleiben und präsidial agieren.“ Trumps Twitter-Botschaft sei „unverantwortlich“.

Russlands Präsident nennt Weltlage besorgniserregend

Wie auch immer, die Situation ist ernst. Die Amerikaner werfen Syrien vor, am vergangenen Wochenende einen Giftgasangriff in der Stadt Duma in der Region Ost-Ghuta vorgenommen zu haben, und sehen damit eine rote Linie überschritten. Dabei seien mehr als 80 Menschen getötet worden. Trump hatte Russland für die mutmaßliche Chemiewaffen-Attacke mitverantwortlich gemacht. Moskau bestreitet dies und behauptet, dass der Angriff von islamistischen Rebellen „fabriziert“ worden sei. Die syrische Armee und ihre Verbündeten im Land wurden schon in der Nacht zum Dienstag in volle Alarmbereitschaft versetzt.

Nach US-Medienberichten erwägen Sicherheitsexperten im Weißen Haus einen Angriff auf Syrien, der umfassender ausfallen solle als die Attacke vor gut einem Jahr. Damals hatten 59 „Tomahawk“-Marschflugkörper von amerikanischen Kriegsschiffen im östlichen Mittlermeer die syrische Luftwaffenbasis Al-Schairat bombardiert. Der Angriff war eine Reaktion auf die Giftgasattacke mit Dutzenden Toten auf die Stadt Chan Scheichun. Dieses Mal wolle die US-Regierung ein deutlicheres Zeichen setzen, berichtete die „New York Times“. Eine Möglichkeit wäre, dass das amerikanische Militär mehrere Ziele angreift. Eine andere, eine Angriffswelle über mehrere Tage durchzuführen. Derzeit sind die Zerstörer „U.S.S. Donald Cook“ und „U.S.S. Porter“ im Mittelmeer unterwegs. Beide sollen jeweils 24 „Tomahawk“-Marschflugkörper an Bord haben. Darüber hinaus soll in den kommenden Tagen der nuklearbetriebene Flugzeugträger „U.S.S. Harry Truman“ in die Region entsandt werden. Trumps Ankündigung kommt völlig überraschend. In einer Rede vor Industriearbeitern im Bundesstaat Ohio Ende März hatte der Präsident noch vom Abzug der amerikanischen Truppen aus Syrien gesprochen. Derzeit sind rund 2000 US-Kräfte östlich des Euphrats stationiert und vor allem mit der Bekämpfung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) befasst.

Angesichts der jüngsten Eskalation rief der Kreml die USA zur Besonnenheit auf. Präsident Wladimir Putin bezeichnet die Weltlage als besorgniserregend. Er hoffe, dass sich die Vernunft durchsetzen werde. Auch aus dem russischen Außenministerium kamen Warnungen Richtung Washington. „Die Raketen sollten in Richtung der Terroristen fliegen und nicht in die der legitimen Regierung“, schrieb Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa auf Facebook. Die Assad-Regierung kämpfe bereits seit Jahren gegen den internationalen Terrorismus. Die amerikanischen Raketen könnten Sacharowa zufolge mögliche Beweise des mutmaßlichen Giftanschlags in Duma vernichten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wies der syrischen Regierung erstmals eine mögliche Verantwortung für den mutmaßlichen Giftgas-Einsatz in Duma zu. „Es gibt schwere Indizien, die in Richtung des syrischen Regimes zeigen. Auf der Grundlage werden dann auch die weiteren Bewertungen durchgeführt werden“, sagte Merkel. Bisher hatte sie auf eine Schuldzuweisung verzichtet.

Frankreich ist so gut wie entschlossen, Luftschläge gegen „chemische Kapazitäten“ des Assad-Regimes zu führen. Das jedenfalls machte Staatspräsident Emmanuel Macron deutlich, obwohl er sich darüber „derzeit noch“ mit den USA und mit Großbritannien austausche. Er sei für eine „gemeinsame und starke Reaktion“, sagte Macron, der mehrfach unterstrichen hat, dass der Einsatz von Chemiewaffen für Frankreich eine „rote Linie“ darstelle. Sollte dieser zweifelsfrei feststehen, so erklärte er noch im Dezember, sei Paris sogar bereit, alleine zu handeln. In Abwesenheit eines UN-Mandats, so der Pariser Standpunkt, sollte selbst eine Intervention zur Aufrechterhaltung der globalen Ächtung von Chemiewaffen möglichst durch die Beteiligung mehrerer im Weltsicherheitsrat vertretener Staaten legitimiert werden.

Auch Großbritannien hätte US-Präsident Trump gern an seiner Seite. Laut BBC signalisierte Premierministerin Theresa May am Mittwochabend ihre Bereitschaft zur britischen Beteiligung an einer Militäraktion. Eine vorherige Zustimmung des Unterhauses wolle sie in dem Fall nicht einholen. Zuvor hatte May gezögert und die Notwendigkeit weiterer Beweise betont. Normalerweise kann May nicht einfach Beistandsgarantien aussprechen, da es sich eingebürgert hat, dass das Parlament vor einem Militärschlag zustimmen muss. Dieses befindet sich zurzeit im Osterurlaub.

Am späten Mittwochabend gab die Sprecherin des Weißen Hauses, Sarah Sanders, bekannt, dass ein Militärschlag der USA gegen Syrien nicht die einzige US-Option zur Lösung der Syrien-Krise sei. Zunächst sollten die Gespräche mit den Partnern Israel, Saudi-Arabien, Frankreich und Großbritannien fortgeführt werden. Es gebe keinen Zeitplan.