Berlin.

In drei Wochen wäre es so weit. Dann ist Michael Eichberger zwölf Jahre Richter beim Bundesverfassungsgericht. Eine volle Amtszeit, Wiederwahl nicht möglich. Eichberger sollte, darf aber nicht ausscheiden. In Karlsruhe bleibt ein Richter so lange im Amt, bis ein Nachfolger ernannt ist. Das zieht sich hin, vorerst bis Juni – unversehens wurde die Personalie zum Politikum.

Die 16 Richter werden zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat mit mindestens Zweidrittelmehrheit gewählt, in der Länderkammer vom Plenum, im Bundestag von einem Ausschuss. Diesmal sind die Länder dran. Strittig ist, ob das Vorschlagsrecht den Grünen zusteht; und falls ja, ob Eichbergers Erster Senat dann das Gleichgewicht verlöre.

Das ist über Fachkreise hinaus relevant, weil das Gericht über die Auslegung des Grundgesetzes befindet und weitere Personalien anstehen, wo erst recht Streit droht: Im Juni scheidet der Vizepräsident aus, 2020 der Präsident.

Dass die Grünen im Bundesrat mehr Mitsprache fordern, könnte ein Vorzeichen sein: Naht das Ende der Vorherrschaft der Volksparteien? Bald könnten sich Linke und AfD auf den Plan gerufen fühlen. Bisher besteht der Ausschuss im Bundestag, der die Karlsruher Richter wählt, nur aus zwölf Mitgliedern, darunter fünf Christdemokraten und drei Sozialdemokraten. Damit hat die große Koalition das Sagen.

Das Karlsruher Gericht ist das Mobile unter den Verfassungsorganen. Nicht, dass es durch einen Luftzug aus dem Gleichgewicht zu bringen wäre. Aber ein frei hängendes, ausbalanciertes Gebilde ist es schon. Genau geregelt ist nicht nur, wer die Richter wählt, sondern auch, dass an jedem Senat mindestens drei aus einem obersten Gerichtshof des Bundes kommen müssen.

Über den Präsidenten wird auf höchster Ebene entschieden

Über Jahrzehnte haben Union und SPD das Mobile austariert. Von den bisherigen Richtern wurden je sieben auf Vorschlag einer der beiden Volksparteien gewählt, je einer von FDP und Grünen. Die Dominanz der SPD aber ist nicht mehr selbstverständlich. Die Grünen sind eine etablierte Kraft, im Bundesrat zumal, wo gegen sie nicht viel läuft.

Sie wollen mehr Richter benennen, berufen sich auf eine Absprache, die ihr Ministerpräsident, der Baden-Württemberger Winfried Kretschmann, 2016 mit dem schwarz-grünen Regierungschef Volker Bouffier (Hessen, CDU) und dem schwarz-roten Bremer Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) ausgehandelt hat. Für Eichberger schlug Kretschmann regelkonform einen Kandidaten aus einem obersten Gericht vor: Claudio Nedden-Boeger, Richter am Bundesgerichtshof und am Verfassungsgericht von Nordrhein-Westfalen.

Die „Geschäftsgrundlage“ ist das eine, etwas anderes die Balance des Gerichts. Traditionell gibt es in jedem Senat ein Kräfteverhältnis von vier zu vier. Im Ersten Senat aber sitzen heute schon drei Richter, die von der Union vorgeschlagen wurden, fünf Kollegen von der anderen Seite gegenüber, darunter ein Liberaler. Käme nun ein Grüner dazu, würde das Mobile kippen? Das ist die Frage, die in Karlsruhe selbst aufgeworfen wird und über die hinter den Kulissen politisch gestritten wird, zuletzt Ende März beim Treffen der Ministerpräsidenten in Brüssel, inoffiziell und diskret in der „Kaminrunde“. Allein, ohne Erfolg. Nun wollen sie im Mai einen Konsens suchen und haben als Wahltermin die erste Juniwoche ins Auge gefasst.

Im Jahr 2020 scheidet Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle aus – einer aus dem SPD-Kontingent. Schon in wenigen Monaten, im Juni, endet die Amtszeit seines Vize Ferdinand Kirchhof. Er wird 68 und erreicht damit die Altersgrenze. Er war einst von der Union vorgeschlagen worden. Es liegt nahe, für ihn schon einen Nachfolger zu benennen, der zwei Jahre später dann von Voßkuhle den Vorsitz übernimmt.

Die Richter begrenzen die Macht der Regierung

Die Kirchhof-Nachfolge wäre eine Vorentscheidung über den späteren Gerichtspräsidenten. Die Amtszeit der Richter dauert zwölf Jahre oder längstens bis zur Altersgrenze von 68 Jahren. Die Personalentscheidungen von heute wirken lange nach – und sind Chefsache. Im Ausschuss, der die Karlsruher Richter wählt, sitzen denn auch die Fraktionschefs von Union und SPD.

Das Gericht ist seit Gründung 1951 eine intakte und respektierte Institution. Die Richter beeinflussen die Politik, begrenzen die Macht der Regierung, legen dem Gesetzgeber Auflagen auf, befassen sich jedes Jahr mit Tausenden Beschwerden. Im Ersten Senat sind sie für den Aufschub womöglich dankbar, mit Eichberger steht in den nächsten Wochen eine Entscheidung zur Grundsteuer an.

Es könnte eines dieser Urteile werden, die so detailliert ausfallen, das sie wie Blaupausen für Gesetze wirken. Im Bundestag mögen sie das nicht, aber respektieren das Gericht; auch und gerade, weil es über den Parteien steht.