Berlin.

Dynamisch und modern ist an der Bundeswehr ihre Eigenwerbung. „Aktiv. Attraktiv. Anders.“ So will sie gesehen werden. So ist die Truppe aber nicht: Jeder fünfte Offiziersanwärter quittiert nach Angaben des Verteidigungsministeriums in den ersten sechs Monaten seinen Dienst. Weitere 24 Prozent brechen ihr Studium an einer Bundeswehr-Universität ab. Die Quoten treiben Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) um. Sie will die Ausbildung verbessern. Noch in diesem Jahr steht eine Reform an. Es fehlen Ausbilder, vielfach auch Material. Viele Gebäude, beim Ausbildungszentrum in Munster etwa, müssten saniert werden. Und nach den Schlagzeilen über „Gewaltmärsche“ steht die Grundausbildung auf dem Prüfstand. Die Vorfälle waren nicht der Auslöser, aber zumindest Antrieb der Reform.

Nun soll sich die Truppe umstellen. Allen voran betrifft das die Ausbilder, zumeist versierte Soldaten, oft mit Erfahrung in Auslandseinsätzen. Mehr denn je sind sie jetzt als Sportpädagogen gefragt.

Sie sollen fördern und fordern, aber nicht überfordern, Warnsignale erkennen und eingreifen – besser als beim „Gewaltmarsch“ im Juli 2017 in Munster. Damals starb ein Soldat, drei weitere erlitten lebensgefährliche Hitzschläge, elf von 42 Rekruten fielen aus. „Selbstverständlich darf nicht verkannt werden, dass eine gute militärische Ausbildung immer auch eine gewisse Härte beinhaltet“, weiß der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels. Aber er sagt auch: „Ausbildung darf nie tödlich enden.“ Der Todesfall nach nur 2750 Metern Marsch gibt Rätsel auf. Aber vermeidbar waren die Hitzschläge, „wenn die Ausbilder auf entsprechende Signale geachtet hätten“, wie der Heeresinspekteur, Generalleutnant Jörg Vollmer, in der „Bild“ einräumte. „Der Fall Munster geht mir sehr an die Nieren.“

Die Frauen und Männer, die erstmals zum Dienst antreten, sind unterschiedlich groß, schwer und fit. Der Plan ist, Rekruten in Leistungsklassen aufzuteilen, die Untrainierten unter ihnen behutsam heranzuführen. Von der Leyen kündigte jüngst in ihrer Regierungserklärung an, die Bundeswehr werde die Ausbildung „persönlicher“ gestalten.

Schon heute muss jeder Soldat bei der Einstellung und am Ende der Grundausbildung nach drei Monaten einen Basis-Fitness-Test bestehen: Sprint-, Kraft- und Ausdauertests. Außerdem bekommen Rekruten einen Fitnessplan. So sollte der Soldat, der in Munster starb, binnen vier Wochen vier Kilo abnehmen.

Die Kritik setzt schon bei Feststellung der Tauglichkeit an. Bisher beurteilt die Bundeswehr anhand des Body-Mass-Indexes, ob jemand zu viel wiegt. Das führe bei sehr kleinen und sehr großen Menschen sowie bei Bewerbern mit ausgeprägter Muskulatur „zu fälschlicherweise angenommener Untauglichkeit“, so der Wehrbeauftragte Bartels. Kraftsportler würden als übergewichtig definiert. Künftig will man unter anderem den Körperfettanteil als Kriterium heranziehen. Bartels sagt zudem, dass man auch unterschiedliche Anforderungen stellen müsste – je nachdem, ob ein Rekrut für die Kampftruppen eingeteilt ist oder als Cyber-Soldat per Mausklick Krieg üben soll.

Seit die Bundeswehr keine Wehrpflichtarmee mehr ist, braucht sie Freiwillige. Entscheidend ist dabei nicht, ob jemand bei der Aufnahme fit ist, sondern dass er es im Lauf der Ausbildung wird. Allen Offiziersanwärtern müsse bewusst sein, „dass sie einen Marsch jederzeit ohne negative Folgen abbrechen können“, sagt Bartels. In Wahrheit ist der Leistungsdruck groß. Schlapp machen gilt nicht. Die Ausbilder sind zur Fürsorge verpflichtet. Doch wie gehen sie mit Leistungsschwächeren um?

Besser nicht wie Anfang des Jahres in Pfullendorf: In der baden-württembergischen Kaserne treten am 9. Januar 37 Soldaten zum 15-Kilometer-Lauf an. Erst eine Woche zuvor sind die Rekruten hier angekommen. Andererseits wird hier der Feldwebel-Nachwuchs für die Fallschirmjäger und für das Kommando Spezialkräfte (KSK) ausgebildet. Schon nach 1,5 Kilometern verlieren Läufer den Anschluss, woraufhin die ersten umkehren und zurücklaufen müssen – die Gruppe soll zusammenbleiben. Dreimal müssen sie zurücklaufen, bis einer von ihnen bewusstlos zusammenbricht. Offenbar hatte die Überforderung System: Einige sollen scheitern, dem Vernehmen nach eine Frau, die mit ihrer Fitness geprahlt hatte.

Im Koalitionsvertrag vereinbarten Union und SPD: „Dort, wo es sinnvoll ist, wollen wir die Strukturen der bisher in weiten Teilen zentralen Ausbildung wieder in die Truppe zurückführen.“ In Munster und Hammelburg werden derzeit die Offiziersanwärter ausgebildet, Unteroffiziere und Feldwebel an drei weiteren Bataillonen, die Spezialkräfte in Pfullendorf. Nun planen die Militärs, die Ausbildung möglichst nahe an den späteren Einheiten der Rekruten zu absolvieren. Um das umzusetzen, wird die Bundeswehr allerdings mehr Ausbildungsstätten, Personal und Material bereithalten müssen. Es bedeutet auch, dass die Aufgabe der Ausbilder aufgewertet werden sollte: mehr Geld, bessere Aufstiegschancen. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich (SPD), erwartet noch vor der Sommerpause einen Reformentwurf. Kann von der Leyen halten, was sie versprochen hat, die Ausbildung stärker „an der Lebenswirklichkeit der Truppe“ zu orientieren? Wann werden die Streitkräfte wirklich „aktiv“ und „attraktiv“ sein – und nicht bloß „anders“?