Berlin/Brüssel.

Der Giftgasanschlag auf den früheren russischen Doppelagenten Sergej Skripal führt zu harten politischen Konsequenzen: Die Ausweisung von mehr als 140 russischen Diplomaten ist die schärfste Reaktion des Westens seit der Verhängung von Sanktionen nach der Krim-Annexion 2014. Wie hart fällt die Antwort Russlands aus? Wie gefährlich ist die neue Eiszeit zwischen dem Westen und dem Osten? Die wichtigsten Antworten.

Wodurch wurde die jüngste Krise zwischen Russland und dem Westen ausgelöst?

Der russische Ex-Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Yulia waren am 4. März bewusstlos auf einer Parkbank im englischen Salisbury entdeckt worden. Dabei wurde nach britischen Angaben ein von der Sowjetarmee im Kalten Krieg entwickeltes Nervengift eingesetzt: der Kampfstoff Nowitschok. Die britische Premierministerin Theresa May erklärte, mehr als 130 Menschen könnten dem Gift nach dem Anschlag in Salisbury ausgesetzt worden sein. Sie erhob scharfe Vorwürfe gegen Moskau. Die russische Seite wiederum streitet jegliche Verstrickung in den Fall ab.

Gibt es Beweise, dass Moskau die Vergiftung des Ex-Spions veranlasst hat?

Wasserdichte Beweise für eine Täterschaft oder Mitwisserschaft des Kremls liegen nicht auf dem Tisch. Vertreter der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) haben in Salisbury Proben genommen. Es ist geplant, dass sie Mitte April erste Untersuchungsergebnisse vorlegen. Die britische Premierministerin Theresa May hat bereits wenige Tage nach dem Anschlag erklärt, dass Russland „höchstwahrscheinlich“ die Verantwortung hierfür trage. Mit Nachweisen hat sie das nicht untermauert, sondern nur in allgemeiner Form auf Geheimdienst-Erkenntnisse verwiesen. Der EU-Gipfel am vergangenen Wochenende hat sich Mays Version angeschlossen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Waffen und Kampfstoffe der Sowjetunion nach dem Zusammenbruch der UdSSR in viele Teile der Welt geschmuggelt wurden.

Welche Sanktionen haben westliche Staaten und Organisationen verhängt?

Großbritannien ordnete die Ausweisung von 23 russischen Diplomaten an. Moskau revanchierte sich kurz darauf mit der Ausweisung der gleichen Zahl von Diplomaten. Am Montag und am Dienstag wiesen insgesamt 26 Länder mehr als 140 russische Diplomaten aus. Darunter befanden sich neben Großbritannien 18 weitere EU-Staaten sowie die USA, Kanada und die Ukraine. Die zahlenmäßig größte Reaktion kam aus den USA: 60 Russen wurden des Landes verwiesen. Zudem befahl Präsident Donald Trump die Schließung des russischen Konsulats in Seattle. Die Ausweisung von vier russischen Diplomaten aus Deutschland wurde vom Auswärtigen Amt auch mit dem kürzlichen Angriff auf ein IT-System der Bundesregierung begründet. Am Dienstag verhängte auch die Nato Strafmaßnahmen. Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte an, dass sieben Mitarbeitern der russischen Nato-Vertretung die Akkreditierung entzogen werde. Zugleich senkt die Nato die Obergrenze für die russische Vertretung um ein Drittel auf höchstens 20 Diplomaten herab. Stoltenberg sprach von einer klaren Botschaft an Russland, dass dessen „inakzeptables und gefährliches Verhalten“ Konsequenzen habe und Kosten verursache. Er betonte aber, dass die Nato bei ihrem zweigleisigen Ansatz von starker Abschreckung und der Bereitschaft zum Dialog bleibe.

Wie geschlossen ist der Westen?

Es ist die schärfste Reaktion des Westens seit der Annexion der Krim im März 2014. Doch während die EU damals geschlossen auftrat, ist dies beim Skripal-Skandal nicht der Fall. Zwar beteiligten sich wichtige Länder wie Deutschland, Frankreich und Italien an der Ausweisung der Diplomaten. Andere EU-Mitglieder hielten sich dagegen zurück: Griechenland wohl aus wirtschaftlichen Gründen, Bulgarien und die Slowakei aus alter Verbundenheit mit Russland.

Bemerkenswert ist die harsche Reaktion aus Washington. Hierfür gibt es zwei Lesarten. Die erste: Trump ist schließlich von Moskaus Querschüssen überzeugt und handelt. Die zweite: Der Präsident, dem der Sonderermittler Robert Mueller mit dem Verdacht der Russland-Connection im Nacken sitzt, will sich vom Verdacht übergroßer Nähe zum Kreml reinwaschen, indem er den Knüppel zückt.

Wie reagiert der Kreml?

Das Außenministerium und andere Behörden bereiteten bereits Schritte vor, kündigte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag an. Die endgültige Entscheidung werde Präsident Putin treffen, hieß es. Es werde Maßnahmen gegen jedes einzelne Land geben, das russische Diplomaten ausweisen will, sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. Experten gehen davon aus, dass Russland mindestens ebenso viele Diplomaten ausweisen wird. Grundsätzlich ist nicht ausgeschlossen, dass Moskau auch gemeinsame Kulturprogramme streicht oder Konsulate schließt.

Droht eine Eskalationsspirale?

Bereits heute herrscht Eiszeit zwischen Ost und West. Und es ist mit einer weiteren Verhärtung der Beziehungen zu rechnen. Moskaus Spielraum für diplomatische Initiativen und Kompromissbereitschaft bei den Konflikten in Syrien oder der Ukraine dürfte gegen null tendieren. Sollten die USA im Mai das internationale Atomabkommen mit dem Iran kündigen und neue Sanktionen gegen den Mullah-Staat verhängen, droht eine weitere Eskalation. Die Konservativen dort könnten gestärkt werden und die auf Eis gelegten Nuklear-Pläne neu auffrischen. Eine ernsthafte Zuspitzung könnte dann eintreten, wenn die neuen Scharfmacher in Washington zum Zuge kämen: Sowohl der designierte US-Außenminister Mike Pompeo als auch Sicherheitsberater John Bolton würden im Zweifelsfall auch vor einem Militärschlag gegen den Iran nicht zurückschrecken. Moskau dürfte als Allianz-Partner Teherans kaum tatenlos zusehen.

Welche wirtschaftlichen Folgen kann die Krise haben?

Eine Ausweisung von Diplomaten dürfte noch nicht zu negativen Konsequenzen beim Handel führen. Beide Seiten profitieren vom wirtschaftlichen Austausch. Im Jahr 2017 war Russland der viertwichtigste Handelspartner der EU nach den USA, China und der Schweiz. Das Handelsvolumen betrug 231 Milliarden Euro. Im Zuge der EU-Sanktionen, die nach der Krim-Annexion durch Russland 2014 verhängt wurden, ging der deutsch-russische Warenverkehr zwar drastisch zurück, im vergangenen Jahr zog der Handel aber wieder um 20 Prozent an. Dieser Trend dürfte sich dann wieder umkehren, wenn es zu einer neuen Runde von Sanktionen käme wie nach der Einverleibung der Krim.

Was bedeutet das für die Fußball-WM, die Russland im Sommer ausrichten wird?

Bislang ist die Zahl der Stimmen, die infolge des Skripal-Skandals einen WM-Boykott fordern, sehr überschaubar. Lediglich der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat einen solchen Schritt im Interview mit dieser Redaktion gefordert. Großbritannien wird allerdings keine Regierungsvertreter und Mitglieder des Königshauses zur WM reisen lassen. Auch isländische Politiker wollen einen Bogen um russische Fußball-Stadien machen.