Paris.

Es ist eine Bluttat, die über die Grenzen Frankreichs hinaus für Bestürzung sorgt. Beim Löschen eines Wohnungsbrands im Zentrum von Paris entdeckten Feuerwehrleute am Freitagabend die Leiche einer mit elf Messerstichen ermordeten Frau. Es handelte sich um die Eigentümerin des Apartments, die 85-jährige Holocaust-Überlebende Mireille Knoll. Das Opfer hatte sich zuvor mehrfach bei der Polizei über Morddrohungen eines Mannes aus ihrer Straße beschwert, der angekündigt habe, sie „verbrennen“ zu wollen.

Offenbar bezweifelte die Pariser Staatsanwaltschaft keinen Augenblick lang, dass der Tat antisemitische Motive zugrunde liegen. Sie leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit des Opfers zu einer Religion ein. Noch am Wochenende wurde ein 29-Jähriger aus der Nachbarschaft unter dem Verdacht verhaftet, für die Bluttat und die Brandstiftung verantwortlich zu sein. Am Montag nahm die Polizei zudem einen mutmaßlichen Komplizen fest.

Mireille Knoll ist 1942 als zehnjähriges Mädchen knapp der „Razzia vom Vélodrome d’Hiver“ entkommen, weil sie wenige Tage zuvor mit ihrer Mutter aus Paris geflohen war. Damals hatte die französische Polizei auf Order der deutschen Besatzer rund 13.000 Juden festgenommen und in das Pariser Radsportstadion gesperrt. Die meisten von ihnen wurden wenig später ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und ermordet.

Frankreichs 500.000 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde steht unter Schock, auch weil das Verbrechen schlimme Erinnerungen wachruft. Im April 2017 wurde die jüdische Ärztin Sarah Halimi (66) von ihrem muslimischen Nachbarn in ihrer eigenen Wohnung misshandelt und aus dem Fenster gestürzt. Nachbarn hatten gehört, wie der Täter „Allahu akbar“ rief, während der Mordtat den Koran rezitierte und schließlich schrie, er habe den Teufel getötet. Dennoch weigerten sich die Ermittler monatelang, Antisemitismus als Tatmotiv anzuerkennen.

Das ist diesmal anders, schon weil die Zahl rassistischer Drohungen und Übergriffe mittlerweile auf den höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg angestiegen ist. Erst vergangene Woche hatte Regierungschef Édouard Philippe daher einen nationalen Plan gegen Rassismus und Antisemitismus vorgelegt. Und hatten sich offizielle Stellen im Fall Halimi noch in Zurückhaltung geübt, brachte Präsident Emmanuel Macron umgehend seine Empörung über diese erneute antisemitische Bluttat zum Ausdruck. Zwar bestreiten Soziologen und Politologen wie Dominique Reynié entschieden, dass „die französische Gesellschaft vom Antisemitismus durchzogen“ sei. Aber auch Reynié spricht von einem „neuen Antisemitismus“, welcher schon seit dem Ausbruch der zweiten Intifada um sich greife. Richtig ist jedenfalls, dass sich die Spannungen zwischen Moslems und Juden in Frankreich verschärft haben. Von einem Klima der Angst, das die jüdische Gemeinde schon vor den Pariser Anschlägen 2015 erfasst habe, spricht der Vorsitzende des Dachverbandes der jüdischen Organisationen (Crif), Francis Kalifat. Tatsächlich ziehen viele jüdische Franzosen Konsequenzen. Zwischen 2013 und 2017 sind 27.000 Juden nach Israel ausgewandert, dreimal so viele wie in den fünf Jahren zuvor. Doch war diese Auswanderungswelle, die 2015 mit 8000 Menschen ihren Höhepunkt erreichte, zuletzt rückläufig.