Brüssel/Berlin.

Es ist eine Eskalation mit Ansage: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten bereits Ende vergangener Woche in Brüssel „gemeinsam abgestimmte Maßnahmen“ gegen Russland angekündigt – als Antwort auf den Giftanschlag von Salisbury vor gut drei Wochen. Drei Tage später ist es so weit: Nach Großbritannien weisen Deutschland, die USA und 18 weitere Staaten insgesamt mehr als hundert russische Diplomaten aus; allein 60 müssen die USA binnen einer Woche verlassen. Die Spannungen zwischen dem Westen und Russland wegen des Attentats auf den Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter Yulia erreichen eine neue Stufe.

Die Antwort aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten: Das russische Außenministerium reagierte mit „scharfem Protest“ und sprach von einer „provokativen Geste“, die nicht ohne Konsequenzen bleiben werde. Die Führung in Moskau warf der EU vor, sie lasse sich in eine von Großbritannien und den USA inszenierte Kampagne hineinziehen, mit der ein Keil zwischen die Union und Russland getrieben werden soll. Die Ausweisung westlicher Diplomaten aus Russland steht wohl unmittelbar bevor.

Auch auf Cyberangriffe gegen Regierungs-IT wird reagiert

Und das dürfte noch nicht das Ende der Eskalationsspirale sein: Als EU-Ratspräsident Donald Tusk am Montagmittag für die europäische Seite die Aktion ankündigte, erklärte er, weitere abgestimmte Gegenmaßnahmen der EU-Regierungen seien möglich.

Die Bundesregierung gab die Ausweisung von vier russischen Diplomaten bekannt, die bis zum Wochenende ausreisen müssen. „Wir haben die Entscheidung nicht leichtfertig getroffen“, versicherte Außenminister Heiko Maas (SPD). „Aber die Fakten und Indizien weisen nach Russland.“ Die russische Regierung zeige keine Aufklärungsbereitschaft und habe keine der offenen Fragen zu dem Anschlag bisher beantwortet. Das Auswärtige Amt begründete den Schritt aber nicht nur mit dem Anschlag von Salisbury, sondern ausdrücklich auch mit dem kürzlich bekannt gewordenen Cyber-Angriff auf das IT-System der Bundesregierung; diese Attacke „lässt sich nach bisherigen Erkenntnissen mit hoher Wahrscheinlichkeit russischen Quellen zurechnen“, hieß es.

Das Vorgehen war eng mit Frankreich, das ebenfalls vier Diplomaten ausweist, und mit der gesamten EU abgestimmt – zu den EU-Staaten gehören auch die Niederlande, Italien, Dänemark, Polen, Tschechien, Italien, Rumänien, Schweden, Finnland, Kroatien und die baltischen Länder, dort müssen jeweils zwischen einem und vier Diplomaten ausreisen. Am umfangreichsten ist die Reaktion der USA, die unmittelbar zuvor bekannt gegeben worden war: Washington verlangt, dass 60 Botschaftsmitarbeiter gehen, die als „bekannte Mitarbeiter der Geheimdienste“ bezeichnet werden – 48 arbeiten in der Botschaft in Washington, zwölf in der UN-Botschaft in New York. Das russische Konsulat in Seattle in der Nähe eines amerikanischen U-Boot-Stützpunktes soll weitgehend geschlossen werden. Auch Kanada und die Ukraine beteiligen sich an der Aktion. Sie erreicht ihre Wirkung vor allem durch das abgestimmte Vorgehen – die Zahl der jeweils von den Regierungen ausgewiesenen Botschaftsmitarbeiter ist dagegen vergleichsweise gering. Die USA und Russland etwa sind jeweils mit rund 450 Botschaftsangehörigen im anderen Land vertreten. Allerdings dürften vor allem in den USA die geheimdienstlichen Operationsmöglichkeiten Russlands deutlich erschwert sein: Wenn die Informationen aus der US-Regierung zutreffen, bleiben 40 von bislang 100 russischen Geheimdienstmitarbeitern auf ihrem Posten.

Das Vorgehen der EU-Staaten hatte sich bereits beim EU-Gipfel Ende vergangener Woche abgezeichnet. Die britische Premierministerin Theresa May legte dort Teilnehmern zufolge „entscheidende neue Informationen“ für den Vorwurf vor, Russland stecke „höchstwahrscheinlich“ hinter dem Giftanschlag. May blieb nicht allein: Macron berichtete, die von Großbritannien um technische Hilfe gebetenen französischen Experten seien zur gleichen Schlussfolgerung wie die britische Seite gekommen. „Unser Wissen um diese Substanz und die Eigenschaften führen zu einer Zuweisung an Russland“, so Macron. Als Konsequenz erheben jetzt nicht nur alle EU-Staaten eine klare Schuldzuweisung an Russland. Die EU hat auch bereits den EU-Botschafter in Moskau, Markus Ederer, zurückgerufen.

Die bisherige europäische Linie, erst die für Mitte April erwarteten Untersuchungsergebnisse der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) abzuwarten, ist damit aufgegeben; die Regierungschefs kamen überein, dass fundamental neue Ergebnisse nicht mehr zu erwarten seien.

Die konzertierte Ausweisung von nationalen Diplomaten ist in der EU allerdings nicht unumstritten. Staaten wie Österreich und Ungarn lehnen eine Beteiligung ab. Der bulgarische Premier Bojko Borissow warnte, auch vor dem Angriff der USA auf den Irak 2003 seien angebliche Beweise vorgelegt worden – die sich später als nicht stichhaltig erwiesen. In Berlin kritisierten Außenpolitiker von SPD und Linken den Schritt als übereilt. Die Bundesregierung versicherte indes ähnlich wie die EU ihren Wunsch nach weiteren Gesprächen mit Moskau. „Wir sind offen für einen konstruktiven Dialog mit Russland“, sagte Maas. Russland müsse aber seiner Aufklärungspflicht nachkommen.