Washington/Brüssel.

Der drohende Handelskrieg zwischen den USA und der Europäischen Union ist vorläufig abgewendet. Das für diesen Freitag vorgesehene Inkrafttreten von Strafzöllen von 25 Prozent auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminium, wie es US-Präsident Donald Trump angekündigt hatte, ist in letzter Minute für Produzenten in der EU abgesagt.

Wie der Handelsbeauftragte der US-Regierung, Robert Lighthizer, am Donnerstag bei einer Anhörung im Kongress sagte, sollen neben Kanada, Mexiko, Argentinien, Australien, Brasilien, Südkorea auch die Mitgliedstaaten der EU bis auf Weiteres von Strafmaßnahmen verschont bleiben. Wie lange die Ausnahme-Regelung gelten soll, ist nicht bekannt. Trump selbst bestätigte indirekt das Moratorium: „Alle wollen mit uns verhandeln. Auch die EU.“

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatten zu Beginn dieser Woche in Washington auf eine Aussetzung der protektionistischen Maßnahmen gepocht und mit entsprechenden Importaufschlägen für diverse US-Produkte wie Motorräder oder Spirituosen gedroht. Offensichtlich mit Erfolg. „Europa hat sich gemeinsam und einheitlich positioniert“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim EU-Gipfel in Brüssel. Der bulgarische Premier Bojko Borrisow, dessen Land derzeit die Ratspräsidentschaft innehat, ergänzte: „Die EU und die USA sind nicht nur strategische Alliierte, sondern ebenso politische Partner.“

Europa ist auf der Hutund auf alles vorbereitet

Im Entwurf einer Gipfel-Erklärung geben sich die 28 Staats- und Regierungschefs so dialogbereit wie entschlossen: Die EU hält an ihrem Einsatz für ein offenes und regelbasiertes Handelssystem fest, will weitere Handelsverträge abschließen und Handelskriege vermeiden. Aber klar sei: Europa ist auf der Hut und auf alles vorbereitet. Man werde auch Vorsorge treffen müssen, dass es nicht schnell wieder zur Eskalation komme, erklären Diplomaten am Rande des Gipfels. Und klar sei auch, dass sich die EU von den USA kaum in einen Konflikt mit China treiben lassen könne, wenn damit gegen Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verstoßen würde. Für die Beratungen der Regierungschefs waren deshalb auch alle Szenarien durchgespielt worden einschließlich möglicher Gegenschläge, wenn Präsident Trump doch an den Zollplänen für Europa festgehalten hätte.

Die Leitlinien: Ausnahmen von Zöllen soll es nur für die gesamte EU geben – die US-Regierung hatte wohl vergiftete Angebote an Polen und Großbritannien getestet. Ratspräsident Donald Tusk machte klar, dass sich die EU in Handelsfragen nicht spalten lassen dürfe. Zweitens soll ein Handelskrieg, wenn es irgend geht, vermieden werden, aber die Einleitung stufenweiser Gegenschläge gehört zum vorhandenen Notfall-Instrumentarium. Zwar betrage der Anteil von Stahl- und Aluminium-Exporten in die USA nur 1,5 Prozent des gesamten Handelsvolumens, beruhigt Ratspräsident Tusk. Aber man müsse den Anfängen wehren. Drittens betont die EU ihre Dialogbereitschaft und die bisherige Partnerschaft mit den USA. Die „Folterwerkzeuge“, so hieß es in diplomatischen EU-Kreisen in Washington, können bis auf Weiteres „unangetastet bleiben“.

Für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ist der modus vivendi ein erster Etappensieg im neuen Amt. Sein Ziel war es, Zeit zu gewinnen und die High-Noon-Atmosphäre der vergangenen Tage zu zerstreuen. Durch seine Zeit im Kanzleramt und im Bundesumweltministerium krisentauglich geworden, hatte er sich am Montag und Dienstag als Vorhut für EU-Kommissarin Cecilia Malmström, bei der das alleinige Verhandlungsmandat liegt, in Washington um die Herstellung einer konstruktiven Atmosphäre bemüht.

Vor allem in einem langen Gespräch mit Wirtschaftsminister Wilbur Ross, der ihn zum Frühstück in sein Privathaus eingeladen hatte, warb der Saarländer eindringlich dafür, eine Eskalation wirtschaftspolitischer Strafmaßnahmen zu vermeiden. Stattdessen sollten die EU und Amerika ihre „gemeinsame Schnittmenge“ definieren und sämtliche Handelsfragen, bei denen sich die USA „beschwert fühlen“, in einem partnerschaftlichen Prozess neu diskutieren und zu Kompromissen kommen, „mit denen beide Seiten leben können“. Altmaier kann sich sogar vorstellen, die Grundidee des noch unter Trumps Vorgänger Obama gescheiterten Handelsabkommens TTIP neu zu beleben. Seine Begründung: „Einen Wettlauf um immer höhere Zölle kann niemand gewinnen.“

Ob Altmaier wie Malmström in ihren Gesprächen in Washington Zugeständnisse gemacht und die Leitplanken eines Verhandlungskorridors abgesteckt haben, ist öffentlich bisher nicht bekannt. Präsident Trump hatte in der jüngsten Vergangenheit mehrfach einen „Deal“ in Aussicht gestellt, der in der EU mit Skepsis aufgenommen wurde: Zahlt höhere Beiträge für die Nato-Kasse, hieß es sinngemäß in Reden des Präsidenten, dann kann man über höhere Zölle reden. „Ich werde nicht aus den vertraulichen Gesprächen berichten“, hatte Altmaier dazu gesagt und betont, dass Präsident Trump „zu Recht erwarten darf, dass alle Nato-Staaten ihre Zusagen einhalten“.

In Berlin sorgte die Entschärfung des Handelsstreits für Erleichterung. „Das ist eine gute Nachricht für den transatlantischen Handel“, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, „Strafzölle hätten der deutschen Wirtschaft erhebliche Absatzeinbußen beschert und keinem einzigen Unternehmen geholfen – weder diesseits noch jenseits des Atlantiks. Der Außenhandelsverband BGA bewertete den neuen Stand als „Sieg der Vernunft, zumindest vorläufig“.

Ungeachtet des Entspannungssignals gegenüber Europa setzt Präsident Trump im Ringen mit dem geopolitischen Rivalen China weiter auf Konfrontation. Er unterzeichnete am Mittag im Beisein von Chefs großer Technologie-Unternehmen ein umfangreiches Maßnahmenpaket aus Zöllen und anderen Strafauflagen. Damit soll vor allem der Schutz des geistigen Eigentums von US-Produzenten optimiert werden. Das Finanzvolumen beläuft sich nach inoffiziellen Angaben des Finanzministeriums auf rund 50 Milliarden Dollar. Trump löst damit ein Versprechen aus dem Wahlkampf ein, als er Peking regelmäßig unfaire Handelspraktiken vorhielt und das hohe Handelsdefizit von rund 375 Milliarden Dollar im Jahr 2017 mit China kritisierte. Nach einem ersten Treffen mit Präsident Xi Jinping im vergangenen Frühjahr geriet das Thema in den Hintergrund. Inzwischen, so kommentieren US-Medien, habe Trump den Kurs gewechselt und sei bereit, China in der Wirtschaftspolitik offen anzugreifen.

Drei Dutzend US-Wirtschaftsverbände wenden sich gegen die Attacken gegen China. Sie fürchten eine „Kettenreaktion negativer Folgen für die amerikanische Wirtschaft“. Die Dach-Organisationen repräsentieren Konzerne wie Apple, die Google-Mutter Alphabet, Walmart und den Sportartikel-Riesen Nike. Bei höheren Importzöllen auf chinesische Produkte drohten Gegenmaßnahmen aus Peking, die zu einem Rückgang der US-Exporte von Agrar- und Industriegütern und steigenden Kosten für Unternehmen und Verbraucher in den USA führten.

Das Handelsministerium in Peking erklärte, man werde mit den „notwendigen Maßnahmen“ auf US-Strafzölle reagieren. „Der Rest der Welt muss zusammenstehen, um einen Handelskrieg zu verhindern“, schrieb eine chinesische Staatszeitung. Aus der Geschichte wisse man, dass „Nadelstiche des Protektionismus“ zu den „Schüssen eines Krieges“ führen können.