Brüssel.

Schon wieder hat ein Politiker aus Deutschland eine wichtige Position in Brüssel erobert: Der hessische SPD-Abgeordnete Udo Bullmann führt jetzt die Fraktion der Sozialdemokraten im EU-Parlament als Nachfolger von Gianni Pittella, der ins italienische Parlament gewechselt ist. Bei der Wahl setzte sich der 61-jährige deutlich gegen eine belgische Abgeordnete durch – trotz seiner deutschen Herkunft.

In der Fraktion der Sozialisten und Demokraten gab es im Vorfeld kritische Diskussionen, ob mit Bullmann der Einfluss der Deutschen nicht zu groß werde. Die Debatte hat in Brüssel gerade wieder Konjunktur: Vier der sechs größeren Fraktionen des EU-Parlaments werden jetzt von Deutschen angeführt. Die christdemokratische EVP-Fraktion, größte Gruppe im Parlament, leitet CSU-Vize Manfred Weber, bei den Grünen ist Ska Keller aus Brandenburg Ko-Vorsitzende, bei den Linken die Thüringerin Gabi Zimmer. Verwunderlich ist die starke Präsenz an der Spitze nicht, schließlich stellen die Deutschen mit 96 Abgeordneten auch so viele EU-Parlamentarier wie kein anderes Land. Mehr noch als der Vormarsch in den Fraktionen besorgt Kritiker deshalb, wie Deutsche Schlüsselpositionen der EU-Institutionen unterhalb der politischen Ebene besetzen: Generalsekretär des Parlaments ist der Westfale Klaus Welle, die Topdiplomatin Helga Schmid leitet in gleicher Funktion den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) – und der deutsche Jurist Martin Selmayr ist nun Generalsekretär der EU-Kommission. Auch der Euro-Rettungsschirm ESM und die Europäische Investitionsbank haben mit Klaus Regling und Werner Hoyer deutsche Chefs.

Berlin setze gezielt auf solche Stellen, die nicht wie die Präsidenten von Rat und Kommission im Blickpunkt der Öffentlichkeit stünden, aber dafür umso mehr Einfluss garantierten, heißt es unter EU-Diplomaten. Was die zentralen Stellen der Kommission anbelangt, ist der Vorwurf nicht haltbar. Aber mit dem Krach um die Beförderung Selmayrs zum Spitzenbeamten der Kommission hat sich diese Debatte jetzt auch öffentlich Bahn gebrochen. Nur zum Teil geht es um das Eil-Verfahren, mit dem Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seinen Vertrauten durchsetzte. Kritiker Selmayrs fürchten einfach zu viel deutschen Einfluss – was in seinem Fall jedoch ein Missverständnis ist, denn der Jurist hat seine Brüsseler Karriere ohne Unterstützung der deutschen Politik gemacht und agiert umso kraftvoller als unabhängiger EU-Beamter, nicht als deutscher Emissär.

Kritiker stört das nicht: „Bestimmte Mitgliedsstaaten setzen ihre Kandidaten rücksichtslos durch“, schimpfte im Parlament der griechische Abgeordnete Eleftherios Synadinos über Selmayrs Berufung. „Die von den Deutschen beherrschte Union hat erneut ihr Gesicht gezeigt.“ Und Nicolas Bay, französischer Abgeordneter der rechtsradikalen Front National, tönte, „der deutsche Vertreter von Merkel“ ergänze die Liste der Deutschen, die „missbräuchlich“ auf Schlüsselpositionen der EU berufen würden. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sieht in den Beschimpfungen schon einen in Teilen „antideutschen Angriff von ganz links und ganz rechts“. Im Parlament fühlte sich der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) genötigt, den Vorwurf einer Übermacht seines Heimatlandes zurückzuweisen: Deutschland stelle trotz seiner Größe nur einen EU-Kommissar und entsende, gemessen an seiner Bevölkerung, weniger Abgeordnete ins Parlament als andere Länder.

Die Debatte beenden konnte der Kommissar damit nicht. Schließlich wird in Brüssel längst über deutsche Politiker auf weiteren EU-Spitzenposten spekuliert: Bundesbank-Chef Jens Weidmann hat offenbar gute Chancen, im Herbst 2019 Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) werden. Und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist für die Ende 2019 anstehende Nachfolge von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Gespräch – die CDU-Politikerin gilt allerdings ebenso wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auch als mögliche Kandidatin für den Posten des nächsten deutschen EU-Kommissars.