Buenos Aires.

Über diese Frage hat Olaf Scholz noch gar nicht nachgedacht. Wie möchte er angesprochen werden nach seinem Wechsel von Hamburg nach Berlin? Herr Minister, Herr Vizekanzler oder einfach Herr Scholz? Herr Scholz sei schon okay. „Irgendwer wird mich sicher noch als Bürgermeister anreden“, sagt Scholz und kichert über seinen eigenen Witz.

Seit vergangenem Mittwoch ist Schluss mit Bürgermeister. Am Freitag war der neue Bundesfinanzminister mit der Kanzlerin in Paris, nun ist Scholz wieder in der Luft. Der 59-Jährige sitzt auf einem Sofa an Bord eines Regierungs-Airbus. Scholz trägt über dem Hemd einen Wollpulli, dazu Jeans und Joggingschuhe. Ein bisschen Gemütlichkeit muss sein, schließlich dauert der Flug zum G20-Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs nach Buenos Aires 15 Stunden.

Scholz mag Argentinien. Anfang der 1980er-Jahre, da war sein Haar noch lang und lockig, träumte er wie viele junge Genossen vom Sieg des Sozialismus. Er war einer der führenden Jusos und bereiste als Vize-Präsident der Internationalen Union der Jungsozialisten die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas. Auch zum Urlaub war Scholz mal da, wanderte im Gletscher-Paradies Patagonien und schaute sich Pinguine an.

Bei der Ankunft in der Millionenmetropole des hoch verschuldeten Landes, in dem die Bürger unter der enormen Inflation leiden, gießt es in Strömen. Scholz wirft sich am Flughafen Ezeiza einen beigen Trenchcoat über. Hamburger Schietwetter ist nichts dagegen. Der Wolkenbruch mit Gewittern passt zur Stimmung im Kreis der 20 führenden Wirtschafts- und Schwellenländer. Seit US-Präsident Donald Trump bei Strafzöllen auf Stahl, Aluminium und womöglich deutsche Autos Ernst machen will, herrscht große Unruhe.

Entsprechend neugierig sind die Finanzminister auf den Neuen aus Berlin. Setzt der Sozialdemokrat andere Akzente als sein CDU-Vorgänger Wolfgang Schäuble? Deutschland schwimmt im Geld, das weckt Begehrlichkeiten, in der Koalition und in halb Europa.

„Ein deutscher Finanzminister bleibt ein deutscher Finanzminister“, stellt Scholz am Rio de la Plata, der im Spanischen der Silberfluss heißt, unmissverständlich klar. Nur weil er ein SPD-Parteibuch hat, wird kein Steuerzahlergeld verschenkt. Die von Schäuble geerbte „schwarze Null“ will Scholz im neuen Haushalt verteidigen, zum Missfallen mancher Parteifreunde. Die internationalen Partner wiederum haben registriert, dass Scholz im Einvernehmen mit der Kanzlerin mehr Geld für die EU spendieren will, um Europa nach dem Brexit zusammenzuhalten. Das sind die Inhalte, die Scholz aus dem Effeff beherrscht. Aber wie schlägt er sich auf der Weltbühne? Im Untergeschoss des Hilton Hotels gibt der Hanseat zusammen mit dem argentinischen Finanzminister Nicolás Dujovne eine Pressekonferenz. Eine Routinesache, sollte man meinen. Mit jedem Satz, den er beginnt, wird seine Stimme leiser. Dabei spricht Scholz viel besser Englisch als der Badenser Schäuble, dessen Denglisch-Äußerungen wie „Isch over“ in der Finanzszene für Aufsehen und Heiterkeit sorgten.

Auf die Frage eines Reporters, wen er denn alles treffen werde, schaut Scholz etwas ratlos zu seinem Sprecher. Der reicht ihm einen Zettel. Scholz liest ab: Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, die französische Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), OECD-Präsident Angel Gurria, die Finanzminister von Spanien, Südafrika und der Schweiz. Leicht genervt bricht Scholz die Aufzählung dann ab, behauptet aber in einem Interview: „Ich bin nicht aufgeregt.“

Die wichtigste Botschaft, die von der Pressekonferenz hängen bleibt, ist, dass die „language of Hamburg“ (die Sprache von Hamburg) auch die G20-Präsidentschaft Argentiniens zu einem Erfolg führen solle. Damit spielt Scholz auf die Abschlusserklärung des G20-Gipfels unter deutscher Präsidentschaft im Sommer 2017 an. Damals hatten die Staats- und Regierungschefs – inklusive Trump, der beim Klimaschutz mit einer 19:1-Erklärung isoliert worden war – beim Handel erklärt, die Märkte offenzuhalten und dabei „Protektionismus einschließlich aller unfairen Handelspraktiken“ weiterhin bekämpfen zu wollen. Daran wollen Deutschland und andere in Buenos Aires anknüpfen.

Doch mit Gipfelkommuniqués ist es so eine Sache. Die hehren Worte hielten Trump nicht davon ab, seine nationalistische Agenda („Make America Great Again“) unbeirrt weiterzuverfolgen. Denn unter „unfairen Handelspraktiken“ versteht Trump, dass etwa Deutschland dank seiner starken Exportwirtschaft seit Jahren große Leistungsbilanzüberschüsse erzielt und in den USA äußerst erfolgreich Maschinen und Autos (die zu einem erheblichen Teil in den USA selbst produziert werden) verkauft. Scholz betont am Abend nach ersten Gesprächen, an denen Trumps Finanzminister Steven Mnuchin teilnahm: „Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass nicht Protektionismus die Landschaft der Welt bestimmt, sondern dass das weiterhin offene Märkte sind. Der Wohlstand von uns allen hängt davon ab.“ Bundesbankpräsident Jens Weidmann sagt, eine Eskalation würde nur Verlierer kennen. Ob der Optimismus von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der bei einem Besuch am Montag in Washington eine kurzfristige Lösung in Aussicht stellte, berechtigt ist, will Scholz nicht näher kommentieren. Eine Konfrontation mit Trump hält er für den falschen Weg. „John Wayne ist kein Vorbild für die Politik.“

Der Lösungsansatz, die „Sprache von Hamburg“, die Scholz beschwört, ist für ihn persönlich ein zweischneidiges Schwert. Damals wütete bei G20 im Hamburger Schanzenviertel ein gewaltbereiter Mob. Molotowcocktails flogen, Autos brannten aus. Jürgen Christian Mertens, den Scholz bei einem Empfang freudig begrüßt, war in Hamburg als G20-Protokollchef dabei. Nun ist er deutscher Botschafter in Argentinien. Dortige Medien vermuten, Angela Merkel habe den Cheforganisator als Leihgabe an den Rio de la Plata geschickt, wo im November der nächste Gipfel stattfindet. Scholz erlebte bei seinem Gipfel an der Elbe seine schwerste Krise. Auf der Reise kommen Erinnerungen hoch: „Die Bilder bleiben in meinem Kopf.“ Jetzt hat er dreieinhalb Jahre Zeit, diesen Eindruck zu korrigieren.