Berlin.

Vor dem Hintergrund der eskalierenden Krise um den ominösen Giftgasanschlag im britischen Salisbury tritt Russlands Präsident Wladimir Putin an diesem Sonntag zur Wiederwahl an. Putins Wahlsieg, der dem Kremlchef eine vierte Amtszeit bescheren würde, gilt als sicher. Meinungsforschungs-Institute sagen einen Stimmenanteil von 70 Prozent voraus. Doch die schweren Vorwürfe aus dem Westen, Moskau stecke hinter der Nervengasattacke auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter, könnten zu einer noch höheren Prozentzahl führen. Das Gefühl der Bedrohung von außen gibt dem Staatschef traditionell noch mehr Rückhalt in der eigenen Bevölkerung. Die anderen Präsidentschaftskandidaten spielen praktisch keine Rolle. Der Oppositionelle Alexej Nawalny, dem noch die besten Aussichten eingeräumt wurden, darf wegen einer umstrittenen Bewährungsstrafe nicht antreten. Nawalny rief zu einem Boykott der Wahl auf. Die Frage ist, wie viele Russen sich dem anschließen werden.

Experten gehen davon aus, dass die erhöhten Spannungen wie zuletzt im Kalten Krieg Putin helfen, sich bei der Wahl als Beschützer zu präsentieren. „Wir haben in Russland immer selbst über unser Schicksal bestimmt, haben nach unserem Gewissen, unserem Verständnis von Wahrheit und Gerechtigkeit (...) gehandelt“, erklärte der Kremlchef. Erstmals stimmen auch die Bürger der 2014 einverleibten ukrainischen Krim über den russischen Präsidenten ab. Die Wahl wurde absichtlich auf den 18. März gelegt, den vierten Jahrestag der Annexion. Die „Heimkehr der Krim in die Russische Föderation“ schreibt sich Putin als größten Erfolg seiner dritten Amtszeit zu. Der Westen sieht darin einen Bruch des Völkerrechts.

Nicht nur der Giftgas-Skandal, auch das neue atomare Wettrüsten zwischen Russland und den USA, die Ukraine-Krise und der Syrien-Konflikt hatten zuvor zu einem Temperatursturz in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen geführt. Der Ton zwischen London und Moskau wurde unterdessen noch frostiger.

Die Entscheidung für das Giftgas-Attentat sei „höchstwahrscheinlich“ von Putin selbst getroffen worden, kritisierte der britische Außenminister Boris Johnson am Freitag. Der Zorn seines Landes richte sich gegen den Kreml, nicht gegen das russische Volk. Kremlsprecher Dmitri Peskow wies die Vorwürfe als „schockierend“ und „unverzeihlich“ zurück. Die britische Regierung hatte nach dem Attentat auf Skripal bereits die Ausweisung von 23 russischen Diplomaten angeordnet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) lehnten einen Boykott der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland als Reaktion des Westens auf den Giftgas-Anschlag ab.

Die Spannungen in der Ukraine waren in den vergangenen Jahren einer der größten Reibungspunkte zwischen Ost und West. Die Regierung in Kiew kämpft seit 2014 im Osten des Landes gegen prorussische Rebellen, die vom Kreml unterstützt werden. Mehr als 10.000 Menschen wurden in dem Konflikt bislang getötet. „Wir sind immer noch in der tiefsten Krise zwischen Russland und dem Westen nach dem Ende des Kalten Krieges. Und das hängt zu einem sehr hohen Prozentsatz mit dem ungelösten Ukraine-Konflikt zusammen“, sagte Gernot Erler, der Russland-Beauftragte der Bundesregierung.