Berlin. Diplom-Kauffrau, katholisch, dreifache Mutter: Die CDU-Politikerin Anja Karliczek übernimmt im Bundeskabinett das Bildungsressort

Als das Telefon klingelt und das Kanzleramt dran ist, kriegt sie einen Schreck. Gibt es Ärger? Ist irgendwas schiefgelaufen? Anja Karliczek soll mal rüberkommen, Angela Merkel will sie treffen. Aber wieso bloß? Sie macht sich auf den Weg, hat keinen blassen Schimmer, was sie erwartet. Am allerwenigsten glaubt sie an ein Jobangebot. „Ich habe niemals damit gerechnet, dass sie mich in der Planung hat.“

Merkel kommt schnell zur Sache. Sie habe sich Karliczeks Biografie angeschaut, sagt sie. Die 46-Jährige hat als Hotelmanagerin im eigenen Familienbetrieb im Münsterland gearbeitet, BWL im Fernstudium draufgesattelt, drei Kinder großgezogen, seit fünf Jahren sitzt sie für die CDU im Bundestag. Und nun habe sie einen Vorschlag, sagt Merkel: Ob sie Bildungsministerin werden wolle? Karliczek stutzt. Im ersten Moment denkt sie, die Kanzlerin habe sich vertan und meine vielleicht Staatssekretärin der Bildungsministerin. Aber nein. Merkel meint, was sie sagt.

Karliczek ist platt. So sagt man das dort, wo sie herkommt. Wo Westfalen ans Norddeutsche grenzt, wo man auch „schwierich“ sagt und keinen „Anpack“ findet, wenn man eine Sache noch nicht recht greifen kann. Aber Karliczek findet einen Anpack. Sie ruft ihren Mann an. Der schweigt erst mal vor Überraschung, reagiert aber am Ende genauso wie damals vor fünf Jahren, als seine Frau in den Bundestag wollte. Mach das, sagt er. So eine Chance gibt es nur einmal im Leben. Noch am selben Abend gibt Karliczek Merkel ihr Okay.

Zwei Wochen später sitzt sie in ihrem hellen Büro im sechsten Stock im Berliner Regierungsviertel. Sie ist mit dem Fahrrad gekommen, es ist ein altes Hollandrad. Ob sie es als Ministerin weiter benutzen darf? Praktisch wäre das, ihre Wohnung jedenfalls liegt nur einen Steinwurf vom Bildungsministerium entfernt an der Spree.

„Natürlich habe ich im ersten Moment heftig geschluckt.“ Mit Forschung hatte sie bislang nichts am Hut. Das Bildungssystem kennt sie dagegen als Praktikerin, als Ausbilderin im familieneigenen Hotel und als Mutter: Ihre erwachsenen Söhne sind heute 20 und 21 Jahre alt, der jüngste wird 18 und macht gerade Abi. Genau diese lebenssatte Praxis muss ihren Förderer beeindruckt haben: Unter den Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen erzählt man sich, wie begeistert Unionsfraktionschef Volker Kauder zurück nach Berlin kam, nachdem er die CDU-Kollegin in ihrem Wahlkreis besucht hatte. Kauder war es auch, der Karliczek in der Fraktion förderte. Vor einem Jahr wurde sie parlamentarische Geschäftsführerin. „Ich bin überzeugt, dass sie die Aufgabe, die ja neu für sie jetzt ist, sehr gut ausfüllen wird“, sagt Merkel. Sie sei das lebendige Beispiel dafür, wie sich berufliche Bildung, Beruf und Familie und akademische Bildung auf ungewohnten Wegen vereinbaren lassen.

Karliczek lacht gerne, wirkt nahbar und unkompliziert. Von der geschäftsmäßigen Verbindlichkeit, die sich andere Ministerinnen irgendwann zulegen, ist noch nichts zu spüren. Klar, sie hört natürlich, wie man im Berliner Politikbetrieb über ihre Beförderung denkt. Nicht jeder ist begeistert und viele glauben, dass es andere besser könnten. Auch die Reaktionen in den Medien waren nicht gerade ermutigend. „Karli – wer?“ hieß es dort, das Netz spottete ausgiebig über ihre arg unbedarften TV-Auftritte.

Wird sie ohne bildungspolitische Erfahrung und ohne den Stallgeruch des Wissenschaftsbetriebs im schwierigen Amt der Bundesbildungsministerin politisch überleben können? Merkel immerhin hatte mit der jungen Kristina Köhler schon einmal eine Quotenfrau ins Kabinett gesetzt, die zwar brav den Koalitionsvertrag abarbeite, deren Amtsjahre aber selbst bei CDU-Leuten heute als verlorene Jahre galten. Köhler, die nach ihrer Heirat Kristina Schröder hieß, gelang es nie, aus dem Schatten ihrer Vorgängerin Ursula von der Leyen herauszutreten. Für Karliczek ist die Lage etwas leichter: Johanna Wanka war außerhalb der Fachwelt wenig sichtbar, ihre Politik blieb für viele Bürger unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.

Quotenfrau? Mit dem Etikett kann sie leben, sagt sie

Dass auch Karliczek vor allem deshalb Ministerin wird, weil sie in Merkels Kabinettspuzzle passt, das weiß sie natürlich. Vergleichsweise jung, ein neues Gesicht – und noch wichtiger: eine Frau. Ob sie sich ärgert, über den Begriff Quotenfrau? „Ich kann damit leben“, sagt sie und zuckt die Achseln. „Man darf sich nicht über die Quote definieren, aber als Einstieg ist das in Ordnung.“

Karliczek ist sicher keine Feministin. Dafür sind ihre Wurzeln zu konservativ. Ruhe, Geborgenheit und starke familiäre Bindungen – das sind wichtige Werte für die Katholikin. Doch es nervt sie sichtbar, wenn Frauen in Schubladen sortiert werden. Beispiel Kinderbetreuung: Bei den ersten beiden Kindern hat sie weitergearbeitet, beim dritten war sie länger zu Hause. „Entweder war ich die Rabenmutter oder man hat mich gefragt, was ich die ganze Zeit zu Hause mache.“ Als die Kinder in die Schule kamen, war es dann so weit: „Ich habe mit Politik angefangen, weil es bei uns keine Über-Mittagbetreuung gab.“

Einer der ersten, der ihr zum neuen Amt gratuliert hat, war der Bayer Ludwig Spaenle. Der dienstälteste Kultusminister hat ein großes Interesse daran, dass der Bund den Ländern zwar Geld gibt, sich ansonsten aber aus Bildungsfragen heraushält. Und der Bund hat diesmal viel Geld: Das Bildungsministerium hat den viertgrößten Etat aller Bundesministerien. Allein für die digitale Ausstattung der Schulen will die GroKo den Ländern bis 2021 insgesamt 3,5 Milliarden Euro überweisen. Karliczek hat dennoch nicht vor, mithilfe dieser Finanzmacht den politischen Einfluss zu vergrößern. „Ich bin die letzte, die den Ländern die Verantwortung abnehmen will“, sagt sie. Heißt: Karliczek tritt nicht an, um das föderale System umzukrempeln. Ärger mit den Ländern anzetteln? Dafür hat Merkel sie nicht geholt. Und Ärger mit Merkel anzetteln – das ist von ihr nicht zu erwarten.

Fraktionskollegen beschreiben Karliczek als selbstbewusste, aber sehr kollegiale Frau. „Es täte mir leid, wenn sie scheitert. Sie ist ein Talent“, sagt eine Parteifreundin. Es sei gut, „dass nicht nur Ich-AGs ins Kabinett kommen“, meint ein CDU-Mann mit Blick auf die beiden ehrgeizigen CDU-Neuzugänge Jens Spahn und Julia Klöckner. Mit Spahn könnte sie künftig zumindest eine Fahrgemeinschaft bilden: Ihre Wahlkreise grenzen direkt aneinander.