Berlin.

Jörg Urban hat keine Zeit verloren: Am Wochenende erst hatte der Parteikonvent der AfD festgestellt, dass AfD-Funktionäre nun auch bei Veranstaltungen der islamfeindlichen Pegida-Bewegung auftreten dürfen. Schon am Montagabend stand Urban, seit Februar Vorsitzender der AfD Sachsen und Chef der Landtagsfraktion, in Dresden bei Pegida auf der Bühne. „Ich freue mich“, erklärte Urban dort vor 1500 Pegida-Anhängern, „dass ich hier stehen darf, ohne dass ich befürchten muss, dass in meiner Partei wieder große Streitigkeiten ausbrechen.“ Von Anfang hätten Bewegung und Partei fast dieselben Standpunkte vertreten: „Pegida und die AfD sind dieselbe Bewegung.“

Es ist ein Schulterschluss, der sich abgezeichnet hat. Lutz Bachmann, Initiator von Pegida, war im Februar auf dem politischen Aschermittwoch der AfD als Ehrengast begrüßt worden. Sowohl Urban als auch sein Stellvertreter bei der sächsischen AfD, Siegbert Droese, haben in der Vergangenheit mehrmals ausgedrückt, dass sie die außerparlamentarische Gruppierung als Vorfeldorganisation ihrer Partei betrachten.

Urbans Vorgängerin Frauke Petry hatte stets auf eine Abgrenzung zu Bachmann und seiner Truppe bestanden. Zu radikal waren ihr die Anhänger, zu unseriös Bachmann persönlich: Der 45-Jährige ist bei der Staatsanwaltschaft unter anderem wegen Drogendelikten und Einbrüchen bekannt. Auch Parteichef Alexander Gauland ist kein Fan Bachmanns. Er und sein Co-Vorsitzender Jörg Meuthen hatten sich zuletzt dafür ausgesprochen, das Verbot aufzuheben, falls Bachmann sich aus der Führung der Organisation zurückzieht. Das ist nicht geschehen, die Abgrenzung von Seiten der AfD wurde beendet.

„Für Gauland ist das auf jeden Fall eine Punktniederlage“, sagt Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler und AfD-Experte an der Universität Kassel. Im sächsischen Landesverband habe schon vor Frauke Petrys Ausscheiden „eine ziemliche Radikalisierung“ stattgefunden, so Schroeder. „Insofern ist die Öffnung zu Pegida eine Anpassung an die veränderten Kräfteverhältnisse in der AfD.“ Die würden sich im Moment verschieben zugunsten derjenigen, „die die AfD mehr als Bewegung denn als Partei sehen“, erklärt der Wissenschaftler. Vor allem die ostdeutschen Landesverbände haben dieses Selbstverständnis – allen voran Björn Höcke, Chef der AfD in Thüringen und Galionsfigur des völkischen Flügels in der Partei.

Gleichzeitig verwischen auf Landesebene zunehmend die roten Linien, die die anderen Parteien einmal zur Distanzierung von der AfD gezogen hatten. „Der Konsens der Demokraten in der Abgrenzung zur AfD bröckelt in einigen Regionen“, sagt Schroeder. „Ich würde da vor allem Sachsen-Anhalt und Thüringen nennen.“ Und vor allem: Die CDU. Da sei damit zu rechnen, dass die Partei in Zukunft öfter mit der AfD zusammenarbeiten werde, sagt Schroeder. Vorboten dafür hatte es zuletzt mehrmals gegeben.

So stimmte die AfD im September vergangenen Jahres in Thüringen gegen die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für NSU-Opfer – genauso wie die CDU, die dort neben ihr auf der Oppositionsbank sitzt. Die CDU hätte gern im Landtag erörtert, ob nicht eine Initiative auf Bundesebene sinnvoller sei, sagte Fraktionssprecher Karl-Eckhard Hahn dieser Redaktion. Doch das sei nicht möglich gewesen. Im Übrigen richte sich die Fraktion nicht nach dem Stimmverhalten anderer. „Wer das eigene Abstimmverhalten von dem der AfD abhängig machte, betriebe deren Spiel“, erklärte Hahn.

Wenige Monate später stimmte die Fraktion der CDU im Landtag von Potsdam für einen Antrag der AfD. Die SPD zeigte sich „entsetzt“, die Linke sprach von einem Tabubruch. Andreas Kalbitz, Chef der AfD in Brandenburg, pflegte nach Recherchen des ARD-Magazins „Kontraste“ Kontakte zur inzwischen verbotenen rechtsextremen „Heimattreuen Deutschen Jugend“.

Zuletzt hatte ein Thema aus dem Parlament von Sachsen-Anhalt für Aufruhr gesorgt: Dort soll mit André Poggenburg nun jener AfD-Landeschef eine Enquetekommission zu Linksextremismus leiten, der linke Studenten als „Wucherung am Volkskörper“ bezeichnet hatte und vorschlug, sie könnten ja „praktischer Arbeit zugeführt“ werden. Dass ausgerechnet Poggenburg nun dieses Amt besetzen soll, sorgte für Entsetzen und warf ein Schlaglicht auf die Entstehungsgeschichte der Kommission. Für deren Einsetzung, beantragt von der AfD, hatte im vergangenen August nämlich auch ein großer Teil der CDU-Fraktion gestimmt.

Zwar wäre diese laut Geschäftsordnung des Landtages ohnehin zustande gekommen. Beantragt mindestens ein Viertel der Abgeordneten eine Kommission, ist das Parlament verpflichtet, sie einzusetzen. Es sei formell darum gegangen, Minderheitenrechte zu wahren, erklärt daher auch Fraktionssprecherin Sandra Hietel. Trotzdem brachte das Vorgehen der Fraktion damals die Missbilligung der Kanzlerin ein, die verlauten lies, das entspräche nicht ihrer Vorstellung von „nicht zusammenarbeiten“. Ob die Nicht-Zusammenarbeit mit der AfD in den Landtagen in Zukunft den Vorstellungen der Kanzlerin mehr entsprechen wird, ist offen.