Rom.

Sieht so ein Revoluzzer aus? Eher nicht. Luigi Di Maio ist eher der Typ netter Schwiegersohn: adretter Anzug und Krawatte, weiße Zähne, schwarzes Haar. Der 31-Jährige kommt sanft herüber. Gerade hat er mit seiner linkspopulistischen Fünf-Sterne-Partei einen Triumph bei der italienischen Parlamentswahl errungen: mehr als 30 Prozent der Stimmen, stärkste politische Kraft im Land. Doch statt lautstarker Parolen tritt der 31-Jährige nach dem Wahl-Triumph eher leise auf. Bloß sieben Minuten dauert seine Ansprache. Als jüngster Ministerpräsident in der Geschichte des Landes will er in den Regierungspalast einziehen. Und das, obwohl viele Wähler ihn für einen Mann mit unklarem Profil hielten.

Ihm steht nun die schwierige Aufgabe bevor, die als Oppositionsbewegung gegründete Partei auf Mainstream-Kurs zu bringen. Di Maio ist das komplette Gegenteil des schrillen Parteigründers und Kabarettisten Beppe Grillo. Moderat und nicht auf Krawall gebürstet. Das große „V“ im italienischen Originalnamen MoVimento5Stelle steht für „Vaffanculo“ - „Leck mich am Arsch“. Doch Fluchen ist Di Maios Sache nicht.

Studienabbrecher und Gelegenheitsjobber

Scharen enttäuschter Wähler von links bis rechts setzten ihre Hoffnungen auf Veränderung in den smarten jungen Mann, der in seiner Biografie das Leben vieler junger Italiener mit trüben Zukunftsaussichten widerspiegelt. Der Sohn einer Lehrerin und eines Bauunternehmers brach ein Jurastudium ab. Über Wasser hielt er sich mit Kurzzeit-Jobs als Steward im Stadion von Neapel für 30 Euro pro Spiel und als Webmaster, bevor er in die Politik ging. Das Drittel der jungen Italiener, die vergeblich nach Arbeit suchen, aber auch solche, die sich mit zeitlich befristeten Jobs durchschlagen, kann sich gut mit Di Maio identifizieren.

Unternehmer, die unter der hohen Steuerlast ächzen, stimmten ebenso für die Fünf-Sterne-Partei wie Studenten, die sich in Italien keine Berufschancen ausrechnen. Umweltschützer reagierten enttäuscht über die Regierungspartei der Demokraten. Diese war plötzlich für eine Privatisierung der Wasserversorgung und für umstrittene Gasbohrungen in der Adria. Dass der demokratische Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi sich nach der krachenden Niederlage bei der Volksbefragung über seine Verfassungsreform im Dezember 2016 nicht wie angekündigt zurückzog, bestätigte sämtliche negativen Erwartungen an italienische Politiker. Zwei seiner engsten Weggenossen ließ er überdies im Kabinett seines Nachfolgers Paolo Gentiloni, obwohl sie wegen der Vermischung von privaten und politischen Interessen hoch umstritten waren. Am Montagabend trat Renzi dann zurück.

Lange Schlangen mit stundenlangen Wartezeiten vor den Wahllokalen wegen einer neuen Regelung gegen Stimmenkauf überzeugten viele Italiener zusätzlich davon, dass die herrschende politische Klasse schlicht unfähig sei. Wer nicht ohnehin wütend auf Politik als Selbstbedienungsladen für Volksvertreter war, hatte durch diese Schwierigkeiten einen Grund mehr, für Protestparteien zu stimmen.

Die Skandale um Parlamentarier der Fünf-Sterne-Partei von Diätenbetrug bis hin zu verschwiegenen Vorstrafen beeindruckten die Wähler dagegen offensichtlich nicht. Vor allem auf der Welle der Angst vor Migranten ritt die Fünf-Sterne-Partei. Noch mehr Ressentiments gegen Flüchtlinge schürte die rechtsnationale Lega, der zweite große Wahlgewinner. Beide Parteien überbieten sich mit dem Versprechen, abgelehnte Flüchtlingsbewerber schnell abzuschieben. Auch die anderen Forderungen, den Grenzschutz zu stärken und Wirtschaftsmigranten kompromisslos zurückzuführen, stießen bei vielen Italienern auf Resonanz.

Lega-Chef Matteo Salvini ist jedoch in der Tonlage deutlich schärfer als Di Maio. Der Bewunderer von Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National in Frankreich, will Italien „von Prekariat und Unsicherheit befreien, die Renzi und Brüssel per Gesetz für Flüchtlingsboote und Bankenpleiten beschlossen haben“.

Von der Forderung nach einem Austritt aus der Eurozone sind die Fünf-Sterne-Partei und die Lega gleichermaßen abgerückt. Beide wollen lieber mit teuren sozialen Wohltaten das „Brüsseler Spardiktat“ brechen. Zudem soll es erlaubt sein, Milliarden Euro öffentliches Geld für Investitionen lockerzumachen. Das Drei-Prozent-Limit bei der Neuverschuldung wird zur frei verfügbaren Gummi-Regelung.

Beide Parteiführer reklamieren den Wahlsieg für sich. Dabei kann die Fünf-Sterne-Partei trotz ihres guten Abschneidens allein keine Regierung bilden. Die Lega hat den 81-jährigen Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi als bisheriges Zugpferd des Mitte-rechts-Bündnisses zwar deutlich überrundet. Dennoch verfehlte die Allianz die zum Regieren notwendige Marke von 40 Prozent der Stimmen. Stabiler wäre eine Koalition der beiden Wahlgewinner: Fünf-Sterne-Partei und Lega. Beide Gruppierungen hatten zwar bislang eine Koalition ausgeschlossen. Bei den wichtigsten Themen des Wahlkampfs gab es jedoch Übereinstimmungen: in der rigorosen Flüchtlingspolitik, der ausgabefreudigen Sozialpolitik und der harschen Kritik an der EU. Doch bis eine neue Regierung steht, dürften noch Monate vergehen.

Seite 2 Leitartikel