Berlin.

Die Glasfront im Willy-Brandt-Haus ist abgeklebt. Hier werden von Sonnabend bis Sonntag Hunderttausende Abstimmungsbriefe der SPD-Mitglieder ausgezählt – unter notarieller Aufsicht. Die Abstimmungsbriefe wurden bislang in einem Post-Logistikzentrum gesammelt und werden am Sonnabendabend per Lastwagen zur SPD-Zentrale gebracht und von rund 120 Mitgliedern die ganze Nacht durch ausgezählt. Am Sonntagmorgen um neun Uhr soll das Ergebnis bekannt gegeben werden. Die SPD-Führung ist von einem Sieg, also einem positiven Votum für eine große Koalition, überzeugt. Sie habe keinen Plan B, hatte die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles dieser Zeitung gesagt.

FDP-Chef Christian Lindner schloss neuerliche Sondierungen mit Union und Grünen aus, sollten sich die SPD-Mitglieder gegen eine Neuauflage der großen Koalition entscheiden. „Neue Jamaika-Sondierungen wird es auf der Basis der vorliegenden Wahlprogramme nicht geben können“, sagte Lindner dieser Zeitung. „Im unwahrscheinlichen Fall eines Neins der SPD wären Neuwahlen die sauberste und klarste Lösung.“

Sollte es eine Minderheitsregierung geben, würde die FDP deren Vorschläge von Sachfrage zu Sachfrage prüfen, kündigte der Parteichef an. „Eine solche Regierung würde aber wohl nur wenige Monate andauern.“

CSU lehnt Minderheitsregierung strikt ab

Auch die CSU fordert Neuwahlen, sollten sich die SPD-Mitglieder mehrheitlich gegen eine große Koalition aussprechen. „Neuwahlen wären der einzig vernünftige und realistische Weg“, sagte der CSU-Vizevorsitzende Manfred Weber dieser Zeitung. In Deutschland sei das parlamentarische System auf stabile Mehrheiten ausgerichtet, daher wäre eine Minderheitsregierung auf längere Zeit „abenteuerlich“, betonte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament. „Deutschland würde sich damit als wesentlicher Faktor in Europa und der Welt abmelden.“

Bei einer Ablehnung der großen Koalition würde die SPD „einen ähnlichen Weg gehen wie die Sozialisten in Frankreich, Spanien und Griechenland, die mehr und mehr in der Bedeutungslosigkeit verschwinden“, warnte Weber. „Die SPD-Mitglieder entscheiden nicht nur über eine große Koalition, sondern auch darüber, ob sie die SPD noch als verantwortliche Gestaltungskraft und Volkspartei sehen.“

Wie geht es bei einem Nein der SPD-Basis weiter? Eigentlich will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Sonntag in Frankfurt die Teilnehmer der Winter-Paralympics verabschieden, die nach Südkorea fliegen. Diesen Termin müsste er wohl absagen und das Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) suchen. Da neue Sondierungen, etwa über eine Jamaika-Koalition (Union, FDP, Grüne), unwahrscheinlich sind, käme Artikel 63 des Grundgesetzes ins Spiel.

Steinmeier könnte Merkel dem Bundestag als Kanzlerin zur Wahl vorschlagen. Mangels absoluter Mehrheit könnte sie nach zwei gescheiterten Wahlgängen im dritten Wahlgang mit relativer Mehrheit gewählt werden. Steinmeier kann Merkel dann zur Kanzlerin ernennen. Sie müsste für Gesetze eine Mehrheit suchen, also vor jeder Bundestagsabstimmung Gespräche mit SPD, Grünen und FDP führen. Verhandlungen mit Linken und AfD lehnt die Union ab. CDU und CSU würden in einer Minderheitsregierung alle Minister stellen, die Kanzlerin könnte aber immer über ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt werden, da es eine Mehrheit im Bundestag gegen die Unionsfraktion gibt. Wird Merkel im Bundestag nicht gewählt, könnte der Präsident sie zur Kanzlerin ernennen oder er müsste binnen einer Woche den Bundestag auflösen und Neuwahlen ansetzen. Dann müsste innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden.