Berlin. Die CDU versöhnt sich auf dem Parteitag mit Angela Merkel – und wählt Annegret Kramp-Karrenbauer mit 98,9 Prozent zur Generalsekretärin

Es war keine leichte Parteitagsrede. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel musste ihrer Partei am Montag in Berlin Rechenschaft ablegen. Rechenschaft über das schlechteste Bundestagswahlergebnis seit 1949. Rechenschaft über eine so schleppende Regierungsbildung, wie es sie in Deutschland noch nie gegeben hat. Rechenschaft über den Verlust des Finanzministeriums an die SPD, sollte es denn überhaupt eine Neuauflage der großen Koalition geben. Am Ende ging es gut aus für die Vorsitzende. Nur 27 Gegenstimmen gab es gegen den von ihr ausgehandelten Koalitionsvertrag. Ihr Vorschlag für den Posten der Generalsekretärin wurde mit Rekordergebnis gewählt. Ein großer Erfolg, doch der Weg dahin war lang.

Angela Merkel ist seit 18 Jahren Vorsitzende der CDU. Sie weiß, dass es in der Partei in den vergangenen Monaten gärte. Und sie selbst mit ihrer Person und ihrem Kurs der Mitte im Zentrum der Kritik stand. So hatte sie vorgebaut: Mit dem Coup, die in der Partei beliebte saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer als neue Generalsekretärin vorzuschlagen. Und vor dem Parteitag ein Personaltableau für eine CDU-Ministerriege zu präsentieren, das eine Erneuerung verspricht und den konservativen Flügel miteinbezieht. Es war eine der Hauptforderungen ihrer Kritiker. Beides hatte sie getan, erst am Sonntag präsentierte Merkel die überraschenden Auswahl ihrer CDU-Minister, trennte sich dabei von langjährigen Weggefährten und berief jüngere, teilweise auch unbekanntere Persönlichkeiten.

Merkel erinnert ihre Partei an Verantwortung für das Land

Dennoch, es waren keine einfachen Voraussetzungen für die Rede und die Zustimmung zu dem von ihr ausgehandelten Koalitionsvertrag. Die Parteichefin lieferte eine Stunde lang eine staatstragende Rede. Sie appellierte an das Selbstbewusstsein der Partei, vermied Angriffe auf den möglichen Koalitionspartner SPD, sagte lediglich, man habe in der Gesundheitspolitik einen „Irrweg“ verhindert. „Es liegt an uns“, gab sie den Delegierten mit. Die CDU trage „Verantwortung für das Land, Verantwortung für die Menschen, Verantwortung für die Zukunft“. Die vergangenen Wochen und Monate mit dem „Taktieren und selbstbezogenen Herummosern“ seien „kein Ruhmesblatt für die Politik“ gewesen, stellte Merkel durchaus auch selbstkritisch fest. Politische Verantwortung gehe weit über Parteipolitik hinaus. „Es ist kein Spiel“, sagte sie mit Blick auf die Regierung, es gehe um mehr, als sich um Parteibefindlichkeiten zu kümmern. Es gehe „um das Schicksal unseres Vaterlandes“. Man darf annehmen, dass sie bei diesen Worten das Verhalten von FDP-Chef Christian Lindner vor Augen hatte, der sie bei den Jamaika-Verhandlungen im wahrsten Sinne des Wortes hat sitzen lassen.

Doch Merkel blickte nach vorn: „Es liegt an uns, ob wir den Willen und die Bereitschaft ausstrahlen, dieses Land gestalten zu wollen. Es liegt an uns, dass unser Land in schwierigen Zeiten auf Erfolgskurs bleibt.“ Bei den Koalitionsverhandlungen habe die CDU hart gerungen und habe Kompromisse eingehen müssen, sagte sie und fügte selbstbewusst hinzu: „Aber wir haben auch viel durchgesetzt.“ Sie verwies auf Einigungen etwa für Familien, bei der Bildung, Rente, Pflege und Gesundheit, bei der inneren Sicherheit wie auch der Digitalisierung. Merkel erwähnte auch die Migration, jenes Thema, das sie mit dem konservativen Flügel ihrer Partei entzweit hat. Eine Steuerung sei nötig, es müsse Konsequenzen für „Integrationsverweigerer“ geben. Eine grundsätzlich andere Politik in der Flüchtlingsfrage verkündete sie nicht.

In der Partei hatte es nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen lautes Murren über die Abgabe des Finanzressorts an die SPD gegeben. „Auch ich empfinde den Verlust des Finanzressorts als schmerzhaft, wie sollte das anders ein“, erklärte die CDU-Chefin nun. Hätte man daran die Verhandlungen scheitern lassen sollen? „Meine Antwort ist ein klares Nein.“ Vielmehr müsse man nun das Wirtschaftsministerium zum „Kraftzentrum für soziale Marktwirtschaft“ machen. Der designierte Wirtschaftsminister Peter Altmaier sei der richtige Mann dafür.

Es war keine flammende Rede der CDU-Chefin, der Beifall danach klang freundlich-versöhnlich. „Keine Parteitagsrede“, sagte ein NRW-Delegierter, ein anderer attestierte der Partei das Profil eines „abgefahrenen Reifens“. Reichlich Gesprächsbedarf gab es, über 50 Delegierte meldeten sich zu Wort. Doch die inhaltliche Kritik blieb stets moderat. Gespannt wartete man auf die schärfsten Widersacher von Merkels Politik. Der designierte Gesundheitsminister Jens Spahn argumentierte pragmatisch: „Man kann jetzt rumlamentieren oder etwas daraus machen“, sagte er und warb kämpferisch für den Koalitionsvertrag und somit für den Merkel-Kurs. „Eine gute Mischung auch aus erfahrenen und neuen Gesichter“, sagte der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, auf die Frage, was er denn von der neuen Konstellation in Partei und Kabinett halte. Carsten Linnemann, Vertreter des liberalen Wirtschaftsflügels, erinnert daran, dass man konservative Positionen in einer möglichen Regierung nicht aufgeben dürfe. „Wir dürfen in zentralen Themen die Gestaltungshoheit nicht verlieren“, mahnte er.

Doch zufrieden waren sie alle. Den Verlierern des Personalpuzzles, Thomas de Maizière und Hermann Gröhe, dankten die Delegierten mit Standing Ovations und rhythmischem Beifall. „Ich bleibe ein stolzer und fröhlicher Christdemokrat“, sagte de Maizière. Es hieß, es sei Merkel nicht leichtgefallen, die beiden nicht mehr einzubinden. Doch es seien jüngere Gesichter, mehr Frauen und nicht nur Unterstützer des Kurses der Kanzlerin nötig. So kam das Aus. Es ist die unschöne Seite der Politik, die Menschliches hinter Machtfragen zurücktreten lässt. Hätte Merkel an ihren langjährigen Weggefährten festgehalten, wäre sie selbst ins Straucheln gekommen.

Der eigentliche Star des Parteitags war die eher spröde Kramp-Karrenbauer, genannt AKK. Sie streichelte mit einer kämpferischen Rede die Seele der Partei. „Es steht mehr auf dem Spiel als nur die Frage, wie fühlen wir uns als Partei mit uns selbst.“ Die Parteien müssten Antworten auf die Frage liefern, wie man Menschen in unruhiger Zeit Stabilität biete. Die „stillen Helden“ seien im Übrigen die Aktivisten, die auch Flugblätter verteilten. „Deshalb ist es Zeit, etwas zurückzugeben.“

Kramp-Karrenbauer überzeugt mit kämpferischer Rede

Damit begründete die 55-Jährige ihren Schritt, aus einem Regierungsamt heraus einen Parteiposten zu übernehmen. Sie habe sich gefragt, wo ihre Verantwortung sei. „Ich kann, ich will und ich werde“, sei die Antwort gewesen. Für Sätze wie „Wenn ich in dem Moment, wo ich regieren kann, erkläre: lieber nicht regieren, als falsch regieren. Wenn das alle Handwerker in diesem Land machen würden – ganz Deutschland würde in Schutt und Asche liegen“ feierte sie der Parteitag.

„Der Star ist die Mannschaft, der Star ist die CDU“, sagte sie unter dem Jubel der Delegierten. Es gehe nicht um Personen. Dass Politik entscheidend von Personen lebt, das weiß auch die Saarländerin. Doch alles zu seiner Zeit. Am Ende stimmten nur neun Delegierte gegen sie. Ein Rekordergebnis von 98,9 Prozent. Das beste Resultat, seitdem es bei der CDU den Posten eines Generalsekretärs gibt. Merkel strahlte. Die Partei hat ihren Befreiungsschlag mehr als gewürdigt. Es war auch der Anfang eines Lebewohls.