Berlin.

Sie hat es getan. Angela Merkel hat ihre Kandidaten für ein mögliches neues Kabinett berufen. Dabei hat sie persönliche Kritiker, jüngere Gesichter und bislang eher unbekannte Namen berufen und langjährige Vertraute außen vor gelassen. Merkel präsentierte am Sonntagabend in Berlin ihre Liste – eine „nicht ganz einfache Aufgabe“, wie sie selbst sagte.

Mit Jens Spahn befördert Merkel ihren prominentesten Widersacher in ein Ministeramt, wenn die SPD-Mitglieder den Weg für eine erneute große Koalition freimachen. Sie trägt damit ihren Kritikern Rechnung. Diese hatten nach dem historisch schlechten Wahlergebnis der CDU bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst vehement eine personelle Erneuerung gefordert. Merkel hofft nun, den profilierten Politiker einzubinden und zugleich den konservativen Flügel zu befrieden. Mit dem Gesundheitsministerium hat Spahn ein schwieriges Ressort geerbt. Er kennt sich in diesem Politikfeld aus, dennoch ist die Aufgabe vertrackt (siehe Artikel unten). Mit der Personalie weiß Merkel die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU von Carsten Linnemann sowie die Junge Union mit ihrem Vorsitzenden Paul Ziemiak hinter sich. Sie begründete ihre Wahl mit der nötigen „Generationengerechtigkeit“.

Diese konservativen Widersacher komplett zu verprellen wäre unklug gewesen – der CDU-Vorsitzenden ist das durchaus bewusst. Linnemann begrüßte die Personalien jedenfalls: „Die Debatten der letzten Wochen zeigen erste Erfolge. Es ist gelungen, ein überzeugendes Team aus erfahrenen Köpfen und neuen Impulsgebern zu präsentieren und damit zugleich die Breite der Volkspartei CDU darzustellen“, sagte er dieser Redaktion. Der 40-jährige Wirtschaftspolitiker betonte aber auch, es werde in den nächsten Wochen darauf ankommen, inhaltlich neue Akzente zu setzen und klares Profil zu zeigen.

Bitter ist die Personalie für Hermann Gröhe, einen langjährigen Vertrauten und Weggefährten der Kanzlerin. Ebenfalls aus NRW stammend, war für ihn kein Platz mehr auf der CDU-Männerseite im neuen Kabinett Merkel. Diese personelle Veränderung bezeichnete Merkel dann auch als äußerst „schmerzhaft“.

Altmaier soll als Minister für Wirtschaft das Amt aufwerten

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und der bisherige Kanzleramtschef Peter Altmaier werden hingegen wieder zur Ministerriege der angestrebten großen Koalition gehören – Altmaier wechselt vom Kanzleramt ins Wirtschaftsressort. Der Saarländer, der zurzeit auch als geschäftsführender Finanzminister im Amt ist, ist Merkels Mann für alle Fälle und unverzichtbar. Er hat ihr vier Jahre lang den Rücken frei gehalten, in der Flüchtlingskrise die Arbeit der Regierung koordiniert, den Wahlkampf in großen Teilen gemanagt. Nun soll er es als Wirtschaftsminister richten, das Ressort aufwerten und die Energiewende zum Erfolg führen. Altmaier kennt das Terrain, kurzfristig hatte er als Umweltminister bereits damit zu tun. Die Niedersächsin von der Leyen bleibt an der Spitze des Verteidigungsressorts und somit Oberbefehlshaberin der Bundeswehr. Die machtbewusste Ärztin ist in der Truppe nicht besonders beliebt, versteht es aber, auf internationalem Parkett zu glänzen. Die Mutter von sieben Kindern legte als politische Quereinsteigerin eine Blitzkarriere hin. Nach ihrer Zeit als Familien- und Arbeitsministerin ist sie seit 2013 die erste Verteidigungsministerin der Bundesrepublik. Merkel hatte versprochen, die Hälfte der CDU-Posten mit Bewerberinnen zu besetzen; auch deshalb brauchte es weitere Frauen. Die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner zieht als Minis­terin ins Landwirtschaftsressort. Die stellvertretende Parteivorsitzende ist beliebt, sie ist so etwas wie das strah­lende Lächeln der Partei, unprätentiös, trotzdem präsent. Sie unterlag der SPD-Kandidatin Malu Dreyer bei der Landtagswahl 2016 in Rheinland-Pfalz überraschend, das hemmte ihren Aufstieg ­zunächst. Die Tochter eines Winzers kennt sich in der Agrarpolitik aus, das Thema spielt in Rheinland-Pfalz eine große Rolle. Bei den Jamaika-Sondie­rungen und den Koalitionsverhand­lungen mit der SPD war sie Chefunterhändlerin der CDU für diesen Bereich, sie war seitdem im Gespräch für diesen Posten.

Merkel präsentierte am Sonntag ihrem Präsidium aber auch eine große Überraschung. Dis bislang in der Öffentlichkeit unbekannte NRW-Bundestagsabgeordnete Anja Karliczek soll neue Bildungsministerin werden, so sieht es Merkels Plan vor. Die 46-Jährige ist gerade parlamentarische Geschäftsführerin in der Unionsfraktion geworden, gilt als Macherin. Die Hotelierstochter hat Ausbildungen als Bank- und als Hotelfachfrau gemacht und arbeitet seit 1994 in leitender Funktion im familieneigenen Hotel im Teutoburger Wald. Im Fernstudium bildete sie sich zur Diplom-Kauffrau weiter. Merkel bezeichnete sie auch deshalb als „lebendiges Beispiel“ für ungewöhnliche Bildungswege und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Der bisherige Staatsminister im Kanzleramt, Helge Braun, wird nach Merkels Vorstellungen neuer Chef der Regierungszentrale. Auch er stand bislang nicht im Licht der Öffentlichkeit. Der Anästhesist stammt aus dem großen CDU-Landesverband Hessen, die Kanzlerin schätzt ihn als Krisenmanager, der bislang eher im Verborgenen tätig war. In der vergangenen Wahlperiode war er als Staatsminister bei der Bundeskanzlerin zuständig für die Bund-Länder-Beziehungen und koordinierte für Merkel ebenso wie Altmaier die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Als sein Steckenpferd gilt die Digitalisierung. Mit ihm holt sich Merkel einen weiteren „stillen Arbeiter“ an ihre Seite.

Die bisherige Gesundheits-Staatssekretärin und Chefin der Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz, soll das Amt der Staatsministerin für Integration im Kanzleramt übernehmen. Die Baden-Württembergerin ist seit 2009 parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium. Widmann-Mauz gilt als durchsetzungsstark. Mit ihrer forschen und fordernden Art eckt sie aber auch an. Das Amt wird mit dem CSU-Chef Horst Seehofer als künftigem Innenminister eine Herausforderung, denn Widmann-Mauz vertritt einen liberalen Kurs in der Flüchtlingsfrage.

Monika Grütters, die dem Berliner Landesverband der CDU vorsteht, bleibt Kulturstaatsministerin. Seit 2013 bekleidet die 56-Jährige, die bekennender Opernfan ist, das Amt. Zunächst Obfrau der Fraktion für Kultur und Medien, übernahm die alleinstehende Katholikin 2009 den Vorsitz im Kulturausschuss, ehe Kanzlerin Merkel sie zur obersten deutschen Kulturfrau berief. Das bleibt sie auch, im Kanzleramt war man zufrieden mit der Leistung der Berlinerin.

Parteitag entscheidet am Montag über GroKo-Vertrag

Am Montag werden nun in Berlin die 1001 Delegierten der CDU bei einem Parteitag über den Koalitionsvertrag mit der SPD befinden und das neue Personaltableau diskutieren. Zwei Stunden lang soll über das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen diskutiert werden. Intern war zuvor kritisiert worden, dass die Kanzlerin der SPD in den Koalitionsverhandlungen das wichtige Finanzressort überlassen musste.

Bei der Wahl Annegret Kramp-Karrenbauers zur neuen Generalsekretärin wird als Zeichen der Geschlossenheit mit einem guten Ergebnis von über 90 Prozent gerechnet. Dagegen könnte die Zustimmung für den Koalitionsvertrag geringer ausfallen – als eine Art Ventil des Unmuts gegenüber Merkels Verhandlungsführung in den Gesprächen mit den Sozialdemokraten. Allerdings müssen die SPD-Mitglieder noch grünes Licht für eine Neuauflage der großen Koalition geben.

Ein wenig überschattet wurde der Tag von Einlassungen des scheidenden Innenministers Thomas de Maizière (CDU). Dieser muss in einem möglichen neuen Kabinett Platz für den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer machen, der neuer Innen- und Heimatminister werden soll. Er sei skeptisch, das Ressort um die Bereiche Heimat und Bau zu erweitern. „Es muss handhabbar sein. Bei der geplanten Ausweitung könnte es schwierig werden, das hinzubekommen. Ich jedenfalls hätte mir diese Breite des Ressorts, wie die CSU sie anstrebt, nicht zugetraut“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.