Berlin.

Mit politischem Gegenwind kennt Jens Spahn sich aus. Vor zehn Jahren bekam der CDU-Politiker das erste Mal zu spüren, was es bedeutet, anzuecken. Die große Koalition hatte eine außerplanmäßige Rentenerhöhung beschlossen, und Spahn kritisierte sie als „Wahlgeschenk“. Er warf Rentnern sogar vor, damit nicht zufrieden zu sein.

Was damals folgte, würde heute „Shitstorm“ heißen: Spahns E-Mail-Postfach quoll über, Rentner nannten ihn „Rotzlöffel“ und forderten ihn auf, „die Fresse zu halten“. Die Senioren-Union der CDU wollte seine erneute Kandidatur für den Bundestag verhindern. Spahn, damals 28 Jahre alt und schon zum zweiten Mal im Bundestag, reagierte sichtlich betroffen. Er zweifelte kurz daran, ob es wirklich klug sei, unbequeme Wahrheiten laut auszusprechen. Dann aber machte er weiter.

Tatsächlich gibt es – gerade in der CDU – wenige Politiker, die so offen innerparteilichen Widerspruch üben. Inzwischen kann Spahn, der mit 15 Jahren in die Junge Union eintrat, abschätzen, welche Reaktionen er bekommt. Konflikte vermeidet er nicht, er sucht sie.

Dass CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel ihn ins Kabinett berufen will, ist eine Anerkennung. Spahn ist in der CDU so mächtig geworden, dass Merkel ein Interesse hat, ihn in die Regierung einzubinden. Der 37-Jährige aus dem Münsterland, der seit 16 Jahren direkt gewählt im Bundestag sitzt, soll nun zeigen, was er kann.

Sollte die SPD der großen Koalition zustimmen und Spahn tatsächlich Gesundheitsminister werden, dann kehrt er zu seinen politischen Wurzeln zurück. Sechs Jahre lang war er gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsbundestagsfraktion. In dieser Zeit hat er sich so sehr in die komplizierte Materie eingearbeitet wie nach ihm kein anderer Unionspolitiker mehr. Spahn hat 2013 für die Union im Koalitionsvertrag mit der SPD das Kapitel Gesundheit und Pflege verhandelt. Er kennt die Details des Systems und weiß, welche Konflikte ihn erwarten. Weil es den Krankenkassen finanziell blendend geht, wird er – anders als seiner Vorgänger – keine Spargesetze machen müssen. Wie ein Ministerium funktioniert, hat er seit 2015 als Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzressort erfahren.

Weil die SPD das Arbeits- und Sozialministerin besetzt, bietet das Gesundheitsministerium Spahn die Chance, das sozialpolitische Profil der Union zu schärfen. Er könnte zeigen, was er unter einer generationengerechten Politik versteht. Dass er bereit wäre, sich dabei wieder mit Rentnern anzulegen, gilt als sicher. In jedem Fall dürfte Spahn das Amt anders nutzen als Noch-Minister Hermann Gröhe (CDU), der die Gesundheitspolitik vier Jahre lang geräuschlos verwaltet hat.

Spahn und Gröhe – die beiden Namen stehen als Sinnbild für die zwei Lager in der CDU. Seinen Ruf als Kritiker der Kanzlerin festigte Spahn vor vier Jahren, als er mit dem Merkel-Getreuen Gröhe um einen Platz im CDU-Präsidium konkurrierte und Gröhe erfolgreich aus dem Führungszirkel der Partei verdrängte. Das auf diese Weise eroberte Podium wusste Spahn seither für sich zu nutzen. Er äußerte sich nicht mehr nur zur Gesundheitspolitik, sondern vor allem zur Flüchtlingskrise, zu Migration und Integration. Er forderte ein Burkaverbot und ein Islamgesetz, plädierte für die Vermittlung von „Werten und Tugenden“ in Schulen und war auf dem CDU-Parteitag 2016 daran beteiligt, dass der Antrag der Jungen Union gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eine Mehrheit bekam – gegen Merkels Willen. Zu dem konservativen Image, das Spahn sich inzwischen zugelegt hat, gehört aus seiner Sicht auch die gleichgeschlechtliche Ehe, die er im Dezember selbst mit einem Journalisten eingegangen ist. Wenn zwei Menschen füreinander einstehen würden, dann entspreche das den Werten der CDU, argumentiert Spahn.