Jerusalem.

Den Israelis ist die Situation vertraut: Vor zehn Jahren gab es schon mal einen Regierungschef, dem Korruption vorgeworfen wurde. Ehud Olmert trat zurück, nachdem die Nachfolge in seiner Partei geklärt war. Der Politiker hatte die Unterstützung seiner Koalitionspartner und der Wähler verloren.

Bei Israels heutigem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu liegen die Dinge anders. „Bibi“, wie er in seiner Heimat genannt wird, will kämpfen. Und er kann auf Beistand zählen. Zumindest bis zur Entscheidung des Generalstaatsanwalts, ob Anklage erhoben wird. Bis dahin könnte es noch einige Monate dauern. Netanjahu versicherte: „Die Koalition ist stabil. Niemand – weder ich, noch sonst jemand – möchte Neuwahlen.“ Über die Vorwürfe sagte er: „Sie sind voreingenommen, extrem, voller Löcher wie ein Schweizer Käse.“

Monatelang hatte Israels Polizei ermittelt und Anfang der Woche ihre Empfehlung veröffentlicht: Der Regierungschef soll in zwei Ermittlungsverfahren wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue angeklagt werden. In der sogenannten Ermittlungssache 1000 geht es um Zigarren, Champagner und Schmuck. Geschenke im Wert von umgerechnet 230.000 Euro, die Netanjahu und seine Familie zwischen 2007 und 2016 erhalten haben sollen. Als Gegenleistung habe er versucht, reichen Freunden Vorteile auf Israels TV-Markt und bei der Beschaffung eines Visums zu gewähren. Profiteure waren angeblich der in Israel geborene Hollywood-Mogul Amon Milchan und der australische Medien-Tycoon James Packer. Yair Lapid, früherer Finanzminister und laut Umfragen Netanjahus größter politischer Rivale, hat gegen den Ministerpräsidenten ausgesagt. Für die Zeitung „Haaretz“ ist das „der eigentliche Knaller“. Bei Ermittlungssache 2000 geht es um die angebliche Anbahnung einer Absprache zwischen Netanjahu und Arnon Moses, dem Verleger von Israels größter Zeitung, „Jediot Achronot“. Als Gegenleistung für eine freundlichere Berichterstattung habe Netanjahu angeboten, die Gratiszeitung „Israel Hajom“ zu schwächen. Die Polizei empfiehlt, auch Milchan und Moses anzuklagen.

Netanjahu erklärt, zum einen habe es keine Gegenleistungen für Geschenke seiner Freunde gegeben, zum anderen habe er den Verleger bloß testen wollen. Der Regierungschef gibt sich gelassen. Am Donnerstag flog er zu einem dreitägigen Besuch der Münchner Sicherheitskonferenz. „Netanjahu muss stark wirken, um stark zu sein“, sagt der bekannte politische Kommentator Amit Segal im Interview mit dieser Redaktion, „tatsächlich glaubt er wohl auch, dass das alles eine Hexenjagd auf ihn ist.“ Das ist es, was seine Unterstützer vermuten. Sie halten zu ihm. Wie neue Umfragen zeigen, könnte die Likud-Partei mit Netanjahu immer noch die meisten Stimmen holen.

Alles kommt nun auf Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit an. Der Mann, den Netanjahu einst selbst berufen hatte, muss sämtliche Vorwürfe prüfen und sich dann entscheiden, ob er Anklage erhebt. „Wenn es so weit ist, wird es zunächst eine Anhörung geben, erst dann könnte es vor Gericht gehen“, sagt Verfassungsrechtler Amichai Cohen zu dieser Redaktion. Das Ganze könnte „mindestens ein Jahr dauern.“ Eine Anklage gegen einen amtierenden Ministerpräsidenten hat es in Israel noch nie gegeben. Ob Netanjahu dann zurücktreten müsste, ist unklar. Cohen: „Sollte es dazu kommen, werden die Karten neu gemischt.“