Wien.

Wenn der österreichische Vizekanzler Außenminister spielt und auf den Balkan fährt, scheint es so, als wäre er vorher nicht vom Außenministerium in Wien, sondern von jenem in Belgrad gebrieft worden. Heinz-Christian Straches Aussagen klingen so, als wolle er sich demnächst um ein serbisches Regierungsamt bewerben. Im Vorfeld seiner Reise nach Belgrad hatte der Chef der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und Minister für öffentlichen Dienst und Sport der serbischen Zeitung „Politika“ per E-Mail ein Interview gegeben. Darin hatte Strache geschrieben: „Kosovo ist zweifellos ein Teil Serbiens.“

Später dementierte einer seiner Sprecher die Aussage. Doch „Politika“ veröffentlichte den Originalschriftwechsel. Und dort stand der Satz schwarz auf weiß. Der österreichische Vizekanzler hatte mit seiner Stellungnahme zu dem südosteuropäischen Staat demnach klar gegen die Linie der Regierung verstoßen. Österreich erscheint chaotisch, unkoordiniert und unseriös. Denn Wien war einer der größten Unterstützer der Unabhängigkeit der ehemaligen serbischen Provinz im Jahr 2008, und es gibt enge wirtschaftliche und menschliche Kontakte zwischen Österreich und dem Kosovo. Strache selbst war allerdings immer gegen die Unabhängigkeit des kleinen Landes und pflegte bei öffentlichen Auftritten „Kosovo ist das Herz Serbiens“ zu sagen. Es geht ihm dabei vor allem um österreichische Wähler mit serbischen Wurzeln, die er an die FPÖ binden möchte. Auf einer anderen Ebene sendet er auch antimuslimische Signale aus, die insbesondere bei manchen christlichen Nationalisten vom Balkan und in Österreich gut ankommen.

Bisher waren diese Außenseiterpositionen von Strache kein echtes Problem für Österreichs Reputation, doch nun sitzt Strache in der Regierung. Außenministerin Karin Kneissl kam ebenfalls auf einem FPÖ-Ticket in die Regierung und wird daher kaum gegen Strache auftreten. Auf dem Balkan hingegen entsteht Verwirrung.

„Die Aussage von Vizekanzler Strache steht natürlich im Konflikt mit österreichischer Außenpolitik und der Politik einer deutlichen Mehrheit aller EU-Länder. Auch wenn solche Aussagen vielleicht nicht die österreichische Position ändern, so ist es eine langsame Erosion österreichischer Politik ohne sinnvolle Alternative“, meint etwa der Leiter des Zentrums für Südosteuropa-Studien in Graz, Florian Bieber.

In Wien rätselt man, ob Kanzler Sebastian Kurz angesichts der Ausfälle Straches die FPÖ überhaupt im Griff hat. Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier stellt eine Gegenfrage: „Vielleicht hat Kurz Strache ja zu gut im Griff? Denn wenn Strache herumstolpert, dann gehen die FPÖ-Wähler wohl am ehesten zur ÖVP.“ Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) und ihr Vorsitzender Kurz würden jedenfalls profitieren, wenn sich die FPÖ mit der Opposition oder Medien Folgegefechte liefere. Dies würde sich erst ändern, wenn die gesamte Regierung ins Abseits geraten würde. Aber solange es sich nur um Chaos in der FPÖ handle, würde dies der ÖVP helfen. „Sobald die FPÖ extrem agiert, bleibt die gemäßigtere ÖVP übrig. Sie ist der versteckte Profiteur dieser Situation“, so Filzmaier über die derzeitige innenpolitische Lage.

Seine eigenen Leute in der Regierung habe Kurz ohnehin „auf Linie“, so Filzmaier. Dies sei auch leichter, weil es sich zumeist um Quereinsteiger handelt. Verantwortlich für den einheitlichen Auftritt nach außen ist der Sprecher des Bundeskanzleramtes Gerald Fleischmann. Jeder in der Regierung muss sich an die straffen Kommunikationsweisungen halten. Journalistenfragen werden vermehrt von Beamten und nicht von Politikern beantwortet. Kurz ist in seinen Auftritten höflich, informiert und redegewandt.

Der Kanzler hält sich auch zurück, wenn Strache den öffentlich-rechtlichen Sender ORF angreift. Strache warf in einem Eintrag auf seiner Facebook-Seite dem ORF-Nachrichtenmoderator Armin Wolf „Lügen“ vor. „Das Beste aus ‚Fake News‘, Lügen und Propaganda, Pseudokultur und Zwangsgebühr. Regional und international. Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF“, hieß es in dem später gelöschten und von Strache als „Satire“ bezeichneten Eintrag.

Filzmaier denkt, dass Kurz erst einen Fehler gemacht habe, nämlich in der Causa Landbauer, als der Kanzler meinte, die „rote Linie“ sei das Strafrecht. „Da war klar, dass das nicht zu halten ist. Denn natürlich ist die ÖVP auch eine Wertegemeinschaft, in der mehr als das Strafrecht zählt.“ Udo Landbauer, FPÖ-Kandidat für die Landtagswahlen in Niederösterreich, gehörte einer Burschenschaft an, in der Liederbücher mit NS-Gedankengut verbreitet wurden. Der Kanzler hatte auf Strache eingewirkt – bis dieser Landbauer zum Rückzug aufforderte.

Ein anderes Thema beackern beide Regierungsparteien. Die ÖVP gewann ja auch deshalb die Wahlen, weil sie Positionen in der Migrationspolitik von der FPÖ übernommen hatte. In vielen Dingen gibt es demnach große Übereinstimmung in der Koalition. So soll die österreichische Familienbeihilfe an das Niveau der Staaten angeglichen werden, in denen die Kinder leben, die sie erhalten. Damit könnte sich Österreich viel sparen, auch wenn das gegen das EU-Recht verstößt.

Bislang schafft es Kurz, ein Bild der Harmonie in der Regierung aufrechtzuerhalten „Er vermeidet heikle Positionen“, so Filzmaier. „Und er bezieht deswegen öffentlich auch keine Stellung gegen Straches einseitige Positionen.“ Kurz brauche aber „gute Nerven“, wenn es um das Chaospotenzial beim Koalitionspartner geht. „Denn das ist nur bedingt steuerbar.“