Brüssel.

Die blutige Spur zieht sich quer durch Europa: In Berlin, Barcelona, Nizza, Stockholm und London haben Terroristen innerhalb eines Jahres mit Lastwagen-Anschlägen mehr als 120 Menschen getötet. Diese neue Variante des brutalen „Low-Tech-Terrorismus“ mit einfachsten Mitteln stellt die Sicherheitsbehörden vor besondere Herausforderungen. Jetzt versucht die EU-Kommission nach Informationen dieser Zeitung einen neuen Weg, um das Risiko von Terrorattacken zu verringern, bei denen Lastwagen als Waffe eingesetzt werden: Mit speziellen Sicherheitsrichtlinien („Security Guidelines“) sollen Lkw-Fahrer und Transportunternehmen europaweit für die Gefahren sensibilisiert und zur Wachsamkeit aufgerufen werden.

Keine unbekannten Passagiere mitnehmen, stets alle Fenster und Türen geschlossen halten, die Route genau planen und nur sichere, möglichst vorgebuchte Parkplätze ansteuern – der sogenannte „Werkzeugkasten für die Sicherheit“ lässt kaum eine denkbare Schwachstelle aus. Nach Pausen sollen die Trucker bei der Rückkehr zu ihren Fahrzeugen aufmerksam nach möglichen Einbruchsspuren Ausschau halten, auch von Polizisten sollen sie vor dem Aussteigen erst verlangen, den Ausweis zu sehen, in sozialen Netzwerken keine Fahrtrouten preisgeben und auch sonst nicht zu vertrauensselig sein. Die rechtlich unverbindlichen Hinweise mögen nicht sonderlich originell klingen, doch sie dokumentieren, wie ernst Sicherheitsexperten die Bedrohung durch Lastwagen-Attacken inzwischen nehmen und wie viel Vorsicht sie von den Truckern erwarten.

Die umfangreiche Handreichung, die dieser Zeitung vorliegt, soll auch allgemein der Sicherheit der Lkw-Fahrer dienen und dürfte etwa helfen, Diebstähle zu verhindern. Doch die EU-Kommission, in deren Auftrag die Hinweise mit der europäischen Transportbranche erarbeitet wurden, lässt keinen Zweifel, dass vor allem die Terrorabwehr im Blickpunkt steht. Die Liste solle aufzeigen, „wie mit möglichen Bedrohungen durch den Terrorismus umgegangen werden kann“, erläutert die Behörde. „Wenn Terroristen ihre Taktik ändern, müssen wir unsere Antwort anpassen und weiterentwickeln“, sagt der EU-Kommissar für die Sicherheitsunion, Julian King. Viel sei bereits gegen die terroristische Bedrohung getan worden, aber: „Wir müssen sicherstellen, dass es keine schwachen Glieder in der Kette gibt.“ Denn die Angreifer suchten nach jenen Zielen, die am verletzlichsten seien.

Die Schwachstellen im Transportgewerbe sind allerdings breit gestreut, die Tatmuster variieren: Bei dem Attentat in Berlin im Dezember 2016 etwa wurde der polnische Lkw-Fahrer in seinem Sattelzug auf einem Parkplatz im Stadtteil Moabit überfallen und getötet. Danach steuerte der islamistische Attentäter Anis Amri den Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz. Zwölf Menschen starben. In Stockholm stahl im April 2017 der Attentäter einen Laster, während der Fahrer gerade Waren auslud, und fuhr dann in eine Fußgängerzone. In anderen Fällen wurden die Lkw bei Mietwagen-Firmen ausgeliehen – so auch bei dem verheerendsten Anschlag dieser Art in Nizza, mit dem die Serie im Sommer 2016 begann und der mehr als 80 Menschen das Leben kostete. EU-Sicherheitsexperten haben sich deshalb Ende 2017 auch mit Vertretern der Autovermietungsbranche ausgetauscht – um zu beraten, wie Mitarbeiter verdächtige Anmietungen besser erkennen können.

Allen Attacken ist aber eines gemeinsam: Immer waren Straßen oder Plätze mit vielen Fußgängern das Ziel. Die EU-Kommission hatte deshalb schon im vergangenen Oktober einen „Aktionsplan zum verbesserten Schutz öffentlicher Räume“ vorgelegt. Der Fokus der Terroristen verlagere sich immer stärker hin zu öffentlichen Räumen wie Fußgängerzonen, touristischen Zielen, Bahnhöfen, Krankenhäusern, Shoppingcentern, Konzerthallen und öffentlichen Plätzen in der Stadt, warnt die Brüsseler Behörde.

Jetzt sucht sie in unterschiedlichen Formaten zusammen mit öffentlichen Stellen und privaten Betreibern nach Schutzmöglichkeiten. Am 8. März etwa hat die Kommission zusammen mit dem Europäischen Ausschuss der Regionen Bürgermeister aus vielen europäischen Großstädten zu einer Konferenz eingeladen, in der über Lehren aus den Terrorattacken beraten und nach Möglichkeiten besserer Kooperationen zwischen öffentlichen Stellen und privaten Betreibern etwa von Einkaufszentren gesucht werden sollen. Mit dabei sind die Bürgermeister jener Städte, in denen Menschen durch Terrorangriffe ums Leben kamen. In der Konferenz wird es auch wieder um ganz konventionelle Schutzmaßnahmen gehen: Poller und andere Betonhindernisse, mit denen schon jetzt manche Fußgängerzone zur Festung hochgerüstet wird, gelten nach wie vor als probates Mittel gegen Fahrzeug-Terror-Attacken. Nicht nur in Europa: Nachdem im vergangenen Oktober ein Attentäter mit einem Kleinlaster im New Yorker Stadtteil Manhattan acht Menschen getötet hatte, beschloss die Stadtverwaltung, 1500 Straßenpoller für 41 Millionen Euro zu installieren – damit Fahrzeuge nie mehr dorthin kommen könnten, wo Fußgänger seien.

Sicherheitskommissar King sagt: „Die beste Antwort auf eine Attacke mit einfacher Technik ist oft ähnlich einfache Technik.“ Doch schwebt seinen Experten vor, dass künftig schon beim Bau von Plätzen, Fußgängerzonen oder öffentlichen Gebäuden mögliche terroristische Attacken besser mitgedacht werden, um die Bürger zu schützen.

Denn unumstritten sind die nachträglich errichteten, wenig ansehnlichen Poller nicht. Tests in Deutschland haben im vergangenen Jahr ergeben, dass zumindest mobile Anti-Terror-Sperren von Lastwagen bei höherem Tempo auch durchbrochen werden können. Und zudem können die Betonsperren ein Klima der Angst befördern, fürchten Kritiker. Kommissar King betont indes, es gehe nicht um eine Militarisierung der Innenstädte: „Wir dürfen nicht die Werte vergessen, die wir schützen: Offenheit und Freiheit.“