London/Berlin.

Michael Backfisch

Stöckelschuhe mit Leopardenmuster waren gestern. Die Frau, die einst mit auffälligen Modeakzenten und machtbewusstem Auftreten für Schlagzeilen sorgte, wirkt heute fahrig und unsicher. Die britische Premierministerin Theresa May ist angeschlagen. Nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 hatte sie landauf, landab das Mantra „Brexit heißt Brexit“ verkündet. Eine kühle Kampfansage an ihre innenpolitischen Gegner – und an die Europäische Union. Heute verfolgt sie einen Wackelkurs, laviert und scheut die Auseinandersetzung. May ist inzwischen zum Spielball der Flügel in ihrer Konservativen Partei geworden.

Das treibt auch ihre Gesprächspartner in Brüssel zur Verzweiflung. Großbritannien habe der EU noch immer nicht die erhofften Hinweise auf die künftigen Beziehungen nach dem Brexit 2019 gegeben, klagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Freitag. Man warte weiter auf die Präsentation der britischen Position.

Barnier hatte die britische Regierung am Montag zu einer raschen Entscheidung gemahnt, ob das Vereinigte Königreich doch weiter der europäischen Zollunion und dem EU-Binnenmarkt angehören wolle. May lehnt dies bisher strikt ab. Doch setzt sie sich für die Zeit nach dem Brexit für enge Handelsbeziehungen und möglichst wenig Zölle zwischen Großbritannien und der EU ein. Brüssel verlangt Klarstellungen, wie das funktionieren soll. Doch in London herrscht Funkstille. Am Mittwoch und Donnerstag tagte zwar der Kabinettsausschuss, dem elf führende Minister angehören, fünf Stunden lang zum Thema Brexit. Aber ein Ergebnis kam nicht zustande. Nun hat May dem Kabinett für die kommende Woche eine weitere Sondersitzung auf ihrem Landsitz Chequers verordnet, um eine gemeinsame Linie festzulegen.

Die Premierministerin steht zwischen den Lagern

Es ist nicht garantiert, dass die dann auch gefunden wird. Die Frontlinien in der Regierung verlaufen zwischen den Vertretern eines weichen und den Verfechtern eines harten Brexits. Zu der ersten Gruppe, die auch nach dem Austritt auf einen möglichst engen Schulterschluss mit der EU setzt, gehören der Finanzminister Philip Hammond, die Innenministerin Amber Rudd und der Wirtschaftsminister Greg Clark. Zur zweiten Gruppe, die einen scharfen Schnitt verlangt, auf „regulatorische Divergenz“ mit der EU pocht und Freihandelsverträge mit dem Rest der Welt will, zählen Handelsminister Liam Fox, Brexit-Minister David Davis und Außenminister Boris Johnson. Theresa May steht zwischen den Lagern und kann sich nicht entscheiden.

Bei den Gesprächen in dieser Woche war bezeichnend, dass May jede Festlegung vermied. Sie habe ihre Minister referieren lassen, berichtete eine Quelle gegenüber der „Times“, aber selbst keine Meinung geäußert. Auch zu einer Abstimmung sei es nicht gekommen. Der Eindruck verstärkt sich: May will die Nagelprobe so lange wie möglich hinauszögern.

Der Grund für das Zögern der Premierministerin liegt auf der Hand: Ihr eigenes politisches Überleben steht auf dem Spiel. Am rechten Rand der Konservativen Fraktion hat sich eine Gruppe von Brexit-Hardlinern formiert, die May das Leben richtig schwermacht: die sogenannte European Research Group (ERG). Dahinter verbirgt sich ein Zusammenschluss von rund vier Dutzend Europa-Hassern innerhalb der Fraktion. Da die Premierministerin im Unterhaus nur über eine Mehrheit von 14 Stimmen verfügt, hat die ERG ein mächtiges Druckmittel in der Hand: Sie kann einen nicht genehmen Brexit-Deal niederstimmen. Und nicht nur das. Die Rechtsausleger könnten sogar May zu Fall bringen. Es braucht nur 48 Briefe von Hinterbänklern, um einen Kampf um den Parteivorsitz auszulösen.

Damit kommt ein Politiker ins Spiel, der lange Zeit als unbedeutender Sonderling galt, der aber kürzlich zum Vorsitzenden der ERG gewählt wurde. Der Multimillionär Jacob Rees-Mogg hat mit seinen erzkonservativen Ansichten etwa zur Homo-Ehe oder zur Abtreibung nie hinterm Berg gehalten. Zu reaktionär waren seine Positionen für den politischen Mainstream, da blieb er lieber Hinterbänkler. Seine Kollegen schätzten ihn für seine geschliffene Ausdrucksweise, seine eleganten Zweireiher und seine stets tadellose Höflichkeit. Doch für einen Kabinettsposten kam er nicht infrage.

Mittlerweile steht Jacob Rees-Mogg ganz anders da. Die heftige Brexit-Debatte hat den 48-Jährigen nach oben katapultiert. Mit seinen kompromisslosen Positionen, die nur den allerhärtesten Brexit gelten lassen wollen, ist der Katholik bei der konservativen Basis im Land zum Hoffnungsträger geworden. Britische Wettbüros sehen ihn derzeit sogar als Favoriten für die Nachfolge von May im Parteivorsitz und in Downing Street 10.

Auch die europafreundlichen Konservativen machen Druck

Mit seinen immer häufigeren Interventionen treibt der ehemalige Investmentbanker die Premierministerin regelrecht vor sich her. Nach dem Brexit, tönte Rees-Mogg kürzlich, sei „eine enge Harmonisierung mit der EU inakzeptabel“. Und er forderte: „Großbritannien kann nicht in der Zollunion bleiben“. Kurz darauf wurden diese Positionen vom Büro der Premierministerin offiziell übernommen. Gleichzeitig kommt May aber durch europafreundliche Konservative unter Druck. Wenn Leute wie Rees-Moog oder Boris Johnson jetzt den Ton angeben würden, protestierte die ehemalige Ministerin Anna Soubry, wäre das nicht mehr ihre Partei. Der Drohung eines Austritts schloss sich Justine Greening, eine weitere Ex-Ministerin, an. Die Zeit für Theresa May läuft ab. Bald wird sie sich dem Showdown beim Brexit nicht mehr entziehen können.