Berlin.

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) zieht sich schnell zurück: Vier Wochen ist er wohl noch im Amt, wenn es tatsächlich zur Neuauflage der großen Koalition kommt, doch schon am Donnerstag sagte Gabriel einen ersten öffentlichen Auftritt in Berlin ab. Zu zwei Außenminister-Treffen in Kuwait und Sofia nächste Woche wird er nicht reisen, und auch der große Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz in neun Tagen ist gestrichen – der Minister hat seinen Redetermin zur „Primetime“ seinem Nachfolger Martin Schulz angeboten. Eine ungewöhnliche Geste. Und ein bitterer Abschied: Vom beliebtesten Politiker Deutschlands, den laut Umfragen 70 Prozent der Anhänger von Union und SPD gern weiter als Außenminister sähen, zum einfachen Bundestagsabgeordneten – degradiert von der eigenen Parteiführung, die den Platz frei machen wollte für den als SPD-Chef gescheiterten Schulz.

Gefährdet Schulz mit seiner Zukunftsplanung die Koalition?

„Ich habe das Amt des Außenministers gern und in den Augen der Bevölkerung offenbar auch ganz gut und erfolgreich gemacht“, sagte Gabriel am Donnerstag dieser Zeitung. „Und da ist es ja klar, dass ich bedauere, dass diese öffentliche Wertschätzung meiner Arbeit der neuen SPD-Führung herzlich egal war.“ Aber so sehr er es persönlich bedauere, so wenig kritisiere er es: „Das Recht auf Neubesetzung von Ministerposten hat nun mal jede neue SPD-Führung. So sind die Spielregeln. Denn wir Politiker sind Gewählte und keine Erwählten.“ Doch Gabriel fügte auch hinzu: „Was bleibt, ist eigentlich nur das Bedauern darüber, wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt“. Er wisse, dass in der Politik auch schon mal mit harten Bandagen gestritten werde. „Aber es sollte mit offenem Visier erfolgen.“ Gabriel meinte: „Ich komme wohl noch zu sehr aus einer analogen Welt, in der man sich nicht immer nur umschleicht, sondern sich einfach mal in die Augen schaut und die Wahrheit sagt. Das ist scheinbar aus der Mode gekommen.“

Dass Gabriel mit der Personalrochade in der SPD nicht einverstanden ist und mit der Heimlichkeit der Vorbereitungen erst recht nicht, hat sein designierter Nachfolger im Auswärtigen Amt, Martin Schulz, wohl einkalkuliert. Gefährlicher für ihn ist jetzt der offene Widerspruch, der in der Partei laut wird am Coup der SPD-Spitze: Schulz rettet sich ins Auswärtige Amt, Andrea Nahles wird SPD-Chefin – das wird in der SPD zum Teil sehr kritisch diskutiert. In der Bundestagsfraktion gab es Mittwochabend nach Teilnehmerangaben viele kritische Wortmeldungen zum geplanten Kabinetts-Eintritt von Schulz. Überraschte Abgeordnete warnten vor einer neuen Personaldebatte und einem Glaubwürdigkeitsproblem. „Ganz klar. In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten“, hatte der gescheiterte Kanzlerkandidat nach der Bundestagswahl erklärt. Deshalb kommt aus mehreren Landesverbänden – unter anderem aus Thüringen, Sachsen, Baden-Württemberg – die Forderung, der Parteichef müsse Wort halten, dürfe nicht ins Kabinett gehen. „Es gibt Diskussionen um die Glaubwürdigkeit“, räumte auch der Chef der NRW-SPD, Michael Groschek ein, wenngleich er die Entscheidung von Schulz tapfer verteidigte. Andere Genossen zweifeln, ob es sinnvoll sei, auf Gabriel zu verzichten. „Ich hätte mich nicht so entschieden“, monierte der SPD-Wirtschaftspolitiker Bernd Westphal. Sein Kollege Bernd Daldrup wird aus der Fraktionssitzung mit den Worten zitiert, bei allem Respekt für die Arbeit von Schulz „kann ich nicht erklären, dass jetzt ein beliebter Außenminister einfach in die Wüste geschickt werden soll.“

Ein anderer Abgeordneter sagt: „Der Ärger bei Mitgliedern und Bundestagsabgeordneten ist beträchtlich – das kann das Mitgliedervotum gefährden.“ Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen könnten durch die Personaldebatte in den Hintergrund gedrängt werden, lautet eine Sorge. Doch kursieren in der Partei ernst zu nehmende Hinweise, Schulz gehe nicht ganz aus freien Stücken – er sei im Lauf der Koalitionsverhandlungen von führenden Genossen gedrängt worden, entweder auf den Parteivorsitz oder das angestrebte Ministeramt zu verzichten, und habe sich dann dafür entschieden, dem Kabinett beizutreten.

Gefährdet Schulz mit seiner Zukunftsplanung die Koalition? Durchaus möglich, dass die Gegner einer großen Koalition noch Auftrieb erhalten. Dass Schulz seine Entscheidung revidiert, Ga­briel doch noch zum Zug kommt, ist unwahrscheinlich. Der amtierende Außenminister kennt auch die Mechanik der Macht. Er und die künftige SPD-Chefin Nahles sind einander in Abneigung verbunden; auch der designierte Vizekanzler Olaf Scholz gehört nicht zu den Anhängern Gabriels. Beiden wäre kaum daran gelegen, dass der populäre Gabriel als Minister – in welchem Ressort auch immer – den erhofften Neuanfang überstrahlt.

Und auch das Verhältnis zu Schulz, mit dem Gabriel einmal befreundet war, hat im letzten Jahr stark gelitten. Die beiden entfremdeten sich schon im Wahlkampf, danach beharkten sie sich wiederholt öffentlich und vor den SPD-Abgeordneten. Schulz warf Gabriel vor, zu spät auf die Kanzlerkandidatur verzichtet zu haben, Gabriel hielt das für eine Ausrede und beklagte strategische Fehler der Wahlkampagne. Der Gesprächsfaden zwischen Gabriel und Schulz wurde immer dünner. Spätestens als der Außenminister nicht ins Sondierungsteam für eine GroKo berufen wurde, durfte Gabriel klar sein, dass Schulz, Scholz und Nahles ohne ihn planten. Eine frühere Zusage, die Schulz vor einem Jahr Gabriel gegeben haben soll, war damit nichts wert: Seinerzeit habe Schulz, so heißt es, Gabriel versprochen, bei einer Neuauflage der GroKo könne er Außenminister bleiben.

Gabriel sagt: „Für mich beginnt jetzt eine neue Zeit.“ Über seine Pläne sagt er nichts. In der Fraktion wird schon spekuliert, der Minister könne sich ganz aus der Berliner Politik zurückziehen. Einen Vorteil aber hat das Aus als Minister auf jeden Fall – Gabriel hat jetzt mehr Zeit für die Familie. Seine kleine Tochter Marie, erzählte der SPD-Politiker, habe ihm am Donnerstag gesagt: „Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“