Berlin.

Für die Wölfe dürfte der Schuss nach hinten losgehen. Die einst ausgerotteten Raubtiere, die sich mittlerweile in vielen Regionen Deutschlands wieder heimisch fühlen, zählen zu den Verlierern einer möglichen großen Koalition. Die SPD konnte sich nicht mit einem umfassenden Schutz durchsetzen. Verhaltensauffällige Wölfe dürfen in Einzelfällen von Jägern erschossen werden. Aber das nur am Rande – bei den Koalitionsverhandlungen, die am Montag auf der Zielgeraden waren, verabredeten CDU, CSU und SPD viele Reformen und Projekte, die sich auf den Alltag der Bürger auswirken werden. Dafür wollen die Parteien mehr als 46 Milliarden Euro in den kommenden Jahren ausgeben. Bei den Themen Gesundheit (Stichwort Zwei-Klassen-Medizin) und Arbeitsrecht (Stichwort sachgrundlose Befristung) streiten Union und SPD hart – und gehen heute in die zweite Verlängerung. Vormittags treffen sie sich erneut. Was bisher beschlossen wurde, wer von den Plänen profitiert und wer verliert – eine Übersicht:

Familien

Rund zwölf Milliarden Euro wollen die angehenden Koalitionäre in die Hand nehmen, um Familien das Leben leichter zu machen. Damit soll unter anderem eine Kindergelderhöhung von 25 Euro pro Kind und Monat bezahlt werden, der Kinderfreibetrag steigt entsprechend. Auch der Kinderzuschlag soll erhöht werden. Das hilft Familien, die wenig Einkommen haben, aber kein Hartz IV beziehen. Zudem soll es Gutscheine für Haushaltshilfen geben, damit mehr Zeit für die Familie bleibt.

Auch beim Wohnen werden Familien profitieren. Mit einem staatlichen Baukindergeld von 1200 Euro pro Kind und Jahr soll es für Eltern leichter werden zu bauen oder eine eigene Immobilie zu kaufen. Das Baukindergeld soll bis zu zehn Jahre ausgezahlt werden – allerdings gilt eine Einkommensgrenze von 75.000 Euro (plus Freibeträgen für Kinder). Erleichtert werden soll die Vereinbarkeit von Job und Familie. Zwei Milliarden Euro sind für den Ausbau von Ganztagsschulen und -betreuung geplant. Für die Ganztagsbetreuung von Grundschülern wird ein Rechtsanspruch verankert.

Auch für Schüler und Studenten tut sich was. Schwarz-Rot will eine Milliarde zusätzlich für das Bafög bereitstellen – das entlastet Eltern, die ihre Kinder in der Ausbildung dann weniger stark unterstützen müssen. Dazu passt, dass künftig der Weg zur Meisterausbildung kostenfrei sein soll.

Rentner

Mütter, Geringverdiener, Beitragszahler: Mit ihrem Rentenpaket versuchen die Koalitionäre in spe, möglichst viele Gruppen zu erreichen. Dafür sind Union und SPD bereit, viel Geld auszugeben: „Dass das, was wir hier an Verbesserungen machen, weil es Millionen von Menschen betrifft, auch Milliardensummen kosten wird, kann ich prognostizieren“, erklärte SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles.

Die Ausweitung der Mütterrente hat die CSU durchgeboxt: Für 3,4 Milliarden Euro sollen Frauen, die vor 1992 drei oder mehr Kinder geboren haben, pro Kind einen dritten Rentenpunkt erhalten. Das bedeutet derzeit im Westen mindestens rund 93 Euro mehr im Monat, im Osten sind es etwa 89 Euro.

Ein SPD-Prestigeprojekt ist die Grundrente. Geringverdiener, die mindestens 35 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben, sollen damit besser abgesichert werden. Die Grundrente soll zehn Prozent über der Grundsicherung, also dem Hartz-IV-Niveau, liegen. Zudem verbucht die SPD die „doppelte Haltelinie“ als Erfolg: Bis 2025 soll das Rentenniveau 48 Prozent des Durchschnittslohns nicht unterschreiten, während die Beitragssätze 20 Prozent nicht übersteigen.

Pflegepatienten

Die Pflege war im Wahlkampf ein Megathema. Millionen sind betroffen – entweder selbst oder weil sie sich um ihre Angehörigen kümmern müssen. Kanzlerin Merkel wurde in einer TV-Arena von einem jungen Pfleger angegangen, dass die Lage in den Heimen menschenunwürdig sei. Nun will die Politik auf den Pflegenotstand reagieren. 8000 neue Pflegefachkräfte sollen sofort eingestellt, dazu soll besser bezahlt werden – durch flächendeckende Tarifverträge und eine Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West.

Mieter

Es wird eng in den Städten: Die zunehmende Wohnungsnot in Ballungsräumen beschäftigt auch die potenziellen Großkoalitionäre. Mit rund vier Milliarden Euro soll der private und soziale Wohnungsbau gefördert werden. 1,5 Millionen Wohnungen sollen so bis 2021 entstehen. Gleichzeitig soll die Mietpreisbremse, die sich als weitgehend zahnlos erwiesen hat, verschärft werden: Nach den Plänen von CDU, CSU und SPD müssten Vermieter bei einer Neuvermietung offenlegen, was die vorherigen Bewohner gezahlt haben. In Ballungszentren sollen die Kosten für Modernisierungen zudem nicht mehr wie bisher zu elf Prozent auf die Mieter umgelegt werden können, sondern nur noch zu acht. Die Parteien wollen außerdem verhindern, dass Menschen über Modernisierungen gezielt aus ihren Wohnungen vertrieben werden.

Menschen auf dem Land

„Wer bestellt, der zahlt“: Das solle der neue Grundsatz sein für Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern, so Michael Groschek, SPD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen. Damit sage der Bund finanzielle Unterstützung zu in den Bereichen, in denen er selbst Änderungen beschließt. Ebenfalls wichtig für alle, die nicht in Metropolen leben, ist der Rechtsanspruch auf schnelles Internet, den Union und SPD ab 2025 verankern wollen. Ähnlich wie im Postwesen sowie bei Strom- und Wasserlieferanten würde dann eine sogenannte Universaldienstverpflichtung für Provider wie die Telekom gelten. Ob dieser Anspruch auch einklagbar sein soll, ist noch nicht klar.

Die Südeuropäer

Mehr Investitionen, mehr Geld für den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit und ein Ende des Spardiktats: Von den Europa-Plänen, die Union und SPD entworfen haben, profitieren vor allem krisenanfällige Länder wie Spanien, Italien oder Griechenland. Wie diese Pläne bezahlt werden und mit wie viel Geld, ist allerdings noch unklar. Und während Frankreichs Präsident Macron erfreut sein dürfte über die Nachrichten aus Berlin, stehen Staaten wie Polen, Ungarn oder auch Österreich einem weiteren Zusammenwachsen der Union skeptisch gegenüber.

Die Umwelt

Union und SPD haben sich zum Ärger von Umweltschützern und Grünen vom nationalen Klimaschutzziel 2020 (40 Prozent weniger Kohlendioxid-Ausstoß gegenüber 1990) verabschiedet. Immerhin soll es ein Klimaschutzgesetz mit härteren Auflagen für die Industrie geben – das gilt als wegweisender Erfolg. Ein rascher Kohle-Ausstieg – in den Jamaika-Gesprächen noch ein Top-Thema – ist bei Union und SPD vom Tisch. Für den Strukturwandel an Rhein und Ruhr sowie in Ostdeutschland soll es Fördermittel in Höhe von 1,5 Milliarden Euro geben, um neue Arbeitsplätze für Kohlekumpel zu finden.

Flüchtlinge

Insbesondere Geflüchtete, die nur subsidiären, also vorübergehenden Schutz erhalten, dürften die Pläne der Parteien mit Sorge betrachten. Den Familiennachzug für diese Gruppe haben die möglichen Koalitionspartner bis Ende Juli weiterhin ausgesetzt. Auch danach sollen nur 1000 Angehörige pro Monat nachkommen dürfen, Härtefälle nicht eingerechnet. Der Familiennachzug für subsidiär Geschützte war im März 2016 für zwei Jahre ausgesetzt worden. Insgesamt gehen die Parteien davon aus, dass in den nächsten Jahren 180.000 bis 220.000 Menschen pro Jahr kommen– ungefähr also jener Wert, den die CSU als Obergrenze ausgegeben hatte, auch wenn das Wort im fertigen Koalitionsvertrag nicht auftauchen soll. Union und SPD haben sich außerdem darauf geeinigt, dass es ein eigenes Einwanderungsgesetz geben soll.

Unternehmen

Viele Firmen sind wütend, weil das Arbeitsrecht zugunsten der Beschäftigten geändert werden soll. Dazu zählt das Recht, von Teilzeit wieder in eine Vollzeitstelle zurückzukehren (was viele Frauen mit Kindern betrifft). Die erhoffte Senkung der Unternehmenssteuern – wie in den USA – wird es nicht geben. Beim Abbau des Soli-Steuerzuschlags dürften viele Mittelständler leer ausgehen, weil die Steuersenkung bis etwa 80.000 Euro gedeckelt ist.