Rom/Berlin.

Michael Backfisch

Unter Roms bleigrauem Winterhimmel schüttelt Erzbischof Georg Gänswein Recep Tayyip Erdogan herzlich die Hand. Es ist, als komme ein lang ersehnter Gast in den Vatikan. Der Präfekt des päpstlichen Hauses empfängt den türkischen Präsidenten nicht nur dem Protokoll gemäß als Erster, er nimmt sich auch Zeit für ein paar lockere Bemerkungen. Beide legen ein gelöstes Lächeln auf, als gebe es keine Streitpunkte zwischen dem Autokraten und Papst Franziskus.

Ungewöhnlich viel Zeit räumt Franziskus seinem Gast ein: rund 50 Minuten. Es ist eine historische Visite. Erstmals seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor knapp 60 Jahren besucht ein türkisches Staatsoberhaupt den Vatikan. Erdogan habe um die Audienz ersucht, heißt es aus vatikannahen Kreisen. Am Ende überreicht der Papst Erdogan eine Medaille mit einem Friedensengel. „Das ist der Engel des Friedens, der die Teufel des Krieges erwürgt“, sagt der 81-Jährige zum Präsidenten. „Das Zeichen für eine Welt, die auf Frieden und Gerechtigkeit basiert.“ Erdogan bedankt sich auf Italienisch. Er wird von einer Minister-Delegation und seiner Frau Emine begleitet.

Im Anschluss an das Gespräch ringt sich der Vatikan nur eine betont schmallippige Erklärung ab. Um den Status von Jerusalem und die Aufnahme von Flüchtlingen sei es gegangen, heißt es darin. Und um die beiderseitigen Beziehungen.

Gewöhnlich sind Vatikanerklärungen nach Papst-Audienzen für Staatschefs voll des Lobes für das gegenseitige Verhältnis. Ob der Papst hinter verschlossenen Türen die türkische Militäroffensive auf die von Kurden gehaltene Stadt Afrin in Nordsyrien oder die Menschenrechtslage in der Türkei gerügt hat, bleibt offen. Einig sind sich Erdogan und Franziskus immerhin in einem Punkt: Sie kritisieren den Vorstoß von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Besorgt hatten Franziskus und Erdogan bereits zweimal miteinander telefoniert, nachdem Trump den umstrittenen Schritt angekündigt hatte.

Papst kritisiert türkische Militärintervention in Syrien

Bei der Jerusalem-Frage endet aber bereits die Übereinstimmung zwischen Erdogan und Franziskus. Kummer bereiten dem Vatikan insbesondere die türkische Militärintervention in Syrien und Beschränkungen der Religionsfreiheit der Christen in der Türkei. Bei aller Kritik an Erdogan ist sich der Vatikan aber bewusst, dass die Türkei bei diversen Konflikten im Nahen Osten eine Schlüsselrolle spielt.

Am Montag hält sich der Papst mit öffentlicher Missbilligung zurück. Dabei ist er als Klartext-Redner bekannt, auch in der Türkei. 2014 hatte er als erstes katholisches Kirchenoberhaupt den Völkermord an den Armeniern beim Namen genannt und damit eine schwere Verstimmung zwischen Ankara und dem Vatikan ausgelöst. Dass er gar eine Messe für die Armenier feierte, nahm ihm die türkische Regierung damals mehr als übel. Für sie ist der Begriff „Genozid“ im Zusammenhang mit dem Mord an einer Million Armeniern durch Türken tabu.

Doch Erdogan ist bereit, über derartige Differenzen hinwegzusehen. In diesen Tagen hat er vor allem ein Ziel: Er will aus der internationalen Isolation ausbrechen, in die er sich selbst hineinmanövriert hat. Seit der Entlassung von mehr als 100.000 Staatsbediensteten und der Verhaftung Tausender Oppositionspolitiker, Juristen und Journalisten als angebliche Unterstützer des Putschversuchs von 2016 ist es einsam um die Türkei geworden. In der Europäischen Union wird seither der Ruf nach einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen immer lauter. Der türkische Militäreinsatz gegen die kurdische YPG-Miliz in Nordsyrien verschlechtert zunehmend die Beziehungen Ankaras zu den USA, die an der Seite der Kurden die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) bekämpfen.

Erdogan scheint inzwischen gemerkt zu haben, dass sein Bulldozer-Kurs kontraproduktiv wirkt. Er braucht ausländische Investoren und Handelspartner. Daher hat er eine regelrechte Charme-Offensive Richtung Westen eingeleitet. Kürzlich besuchte er Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. Sein Außenminister Mevlüt Cavusoglu traf seinen Amtskollegen Sigmar Gabriel in dessen Heimatstadt Goslar zum Tee. Und nun der Abstecher zum Vatikan. Eine Begegnung mit dem Papst als Bannerträger der Menschenrechte gilt autokratischen Staatenlenkern seit jeher als probates Mittel, den eigenen Ruf aufzupolieren.

Aber Erdogan will noch mehr. Im März ist ein Treffen mit Spitzen der EU geplant. Auf „neutralem Boden“, wie es heißt – also weder in Brüssel noch in Ankara. Dabei soll es auch um eine Ausweitung der gemeinsamen Zollunion auf die Bereiche Landwirtschaft und Dienstleistungen gehen. Vor allem daran ist die Türkei brennend interessiert. Und irgendwann, so wird in diplomatischen Kreisen kolportiert, will Erdogan Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin treffen. So ändern sich die Zeiten.