Washington.

„Heute Abend rufe ich alle von uns auf, unsere Differenzen beiseitezulegen, nach Gemeinsamkeiten zu suchen und die Einigkeit zu erzielen, die wir brauchen, um den Menschen, die uns gewählt haben, zu dienen.“ Donald Trumps ungewohnt angriffsunlustige Rede zur Lage der Nation war erst wenige Stunden alt und in Schnellumfragen auf erstaunliche 50 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung gestoßen, da fiel das politisch zerstrittene Washington in die bekannten Rituale zurück.

Führende Republikaner, die schon im Kongress im Minutentakt vor Begeisterung aufgesprungen waren und applaudiert hatten, sprachen von „der besten Rede“, die Trump bisher gehalten habe. Die oppositionellen Demokraten versammelten sich hinter dem roten Faden, den der Robert-Kennedy-Enkel Joe Kennedy III., Abgeordneter aus Massachusetts, in der traditionellen Gegenrede ausgerollt hatte.

Danach habe Trump sich einmal mehr als perfider Illusionskünstler erwiesen, der Gemeinsinn propagiere, in Wahrheit aber weiter die „Spaltung“ des Landes betreibe. Der von erzkonservativen Kommentatoren diagnostizierte „heilsame Effekt“ der von Trump vom Teleprompter abgelesenen Ansprache gilt im Lager der Opposition als bereits verpufft. Weil Trump beim Dauerstreit-Thema Einwanderung kompromisslos markierte, welche Gegenleistungen er dafür verlangt, dass 1,8 Millionen „Dreamer“ (Mi­granten, die als Kinder illegal in die USA kamen) binnen dem nächsten Jahrzehnt echte Amerikaner mit allen Rechten werden können, erwarten die Demokraten schon in einer Woche den „nächsten Mega-Crash“. Bis 8. Februar muss der Staatshaushalt erneut zahlungsfähig getrimmt werden. Weil Trump und die Republikaner ihr Entgegenkommen bei den Dreamern von 25 Milliarden Dollar für den Bau einer Mauer zu Mexiko, einem Ja zum Ende des Familiennachzugs bei Einwanderern und anderen Restriktionen abhängig machen, stehen die Zeichen abermals auf Sturm. Sprich: Regierungsstillstand. „Absolut unannehmbar“, hieß es in Kreisen demokratischer Senatoren.

Weil Trump die auch gegen ihn gerichteten Ermittlungen in der Russland-Affäre komplett ausblendete, ragten außenpolitisch seine Passagen zu Guantanamo und Nordkorea heraus. Obwohl die knapp 40 noch im umstrittenen Karibik-Knast auf Kuba festgehaltenen Terrorverdächtigen pro Kopf zehn Millionen Dollar Steuergeld kosten, will Trump das Lager in Betrieb halten und mit „Terroristen“ füllen. Im Falle Pjöngjangs kündigte Trump „maximalen Druck“ an, um einen möglicherweise „schon sehr bald“ bevorstehenden Atomangriff durch das kommunistische Regime zu unterbinden.