Tel Aviv.

Der ursprüngliche Anlass für die Reise des Außenministers nach Israel klingt eher nichtig. Am Mittwoch wird Sigmar Gabriel bei einer Sicherheitskonferenz in Tel Aviv über die deutsche Sicht auf den Nahen Osten und die Welt referieren.

Wesentlich interessanter wird sein, was am selben Tag im 60 Kilometer entfernten Jerusalem passiert. Dort trifft der deutsche Chefdiplomat Israels Premierminister – zum ersten Mal seit dem Eklat im vergangenen April. Damals hatte sich Benjamin Netanjahu, gleichzeitig Außenminister seines Landes, kurzfristig geweigert, seinen Amtskollegen zu empfangen, weil sich dieser in Israel mit Vertretern bestimmter Nichtregierungsorganisationen (NGOs) getroffen hatte. Es ging insbesondere um „Breaking the Silence“, die Menschenrechtsverletzungen der Armee in den besetzten Gebieten anprangert. Der Premier nannte Gabriels Treffen später „instinktlos“. Er empfange keine Diplomaten, „die Israel besuchen und sich dabei mit Organisationen treffen, die unsere Soldaten Kriegsverbrecher nennen“. Von deutscher Seite hieß es, dass diese Regelung neu und unakzeptabel gewesen sei. Gabriel stellte klar: „Ich habe gar nichts eskaliert.“

Nun sind beide Seiten bemüht, die unschöne Episode vergessen zu machen. Von deutschen Vertretern heißt es, Gabriel wolle sein Verhältnis zu Netanjahu „glatt ziehen“. Deshalb hat er die Einladung zur Konferenz angenommen, die ihm Israels früherer Botschafter Schimon Stein übermittelt hatte. Der Außenminister war auf der Suche nach einem Besuchsanlass, für eine Initiative auch für das eigene Image.

Die Israelis bestätigen, es gehe darum, „die Atmosphäre zu verbessern“. Zwar wird der Außenamtschef auch Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas in Ramallah besuchen, aber Treffen mit zivilgesellschaftlichen Vertretern sind nicht geplant. Bloß keine Provokationen, keine Irritationen. Denn das Image des SPD-Politikers in Israel ist schlecht, nicht erst seit April 2017. Dass er für viele hier zum roten Tuch geworden ist, geht zurück auf einen Facebook-Post aus dem März 2012, in dem der damalige SPD-Chef schrieb: „Ich war gerade in Hebron. Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“

Wie gereizt auch die Medien seitdem auf den Außenminister reagieren, war Anfang Dezember zu beobachten. Vor dem Brandenburger Tor protestierten Palästinenser gegen die amerikanische Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt, skandierten antisemitische Parolen und verbrannten israelische Flaggen. Da wollte der geschäftsführende Außenminister ein Zeichen setzen. Gabriel besuchte die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, diskutierte mit muslimischen Migranten und Mitarbeitern. Als eine Person beklagte, in Deutschland vergesse man das Leid der Palästinenser, verwies der Diplomat auf die Reaktion der Bundesregierung und auch seine eigenen Worte damals in Hebron. Das wiederum schlachtete die palästinensische Terrororganisation Hamas in einem Tweet aus: Der deutsche Außenminister beschreibe die israelische Besatzung als Apartheid-Regime. Die rechtsgerichtete „Jerusalem Post“ nannte Gabriel daraufhin „den neugekrönten Poster-Boy der Hamas“.

„Das Wort Apartheid im Zusammenhang mit ihrem Land empfinden viele Israelis als Delegitimierung. Sie sehen, dass die Schuld an dem Konflikt einseitig bei ihnen abgeladen wird, dass es bei der Besatzung nicht um Sicherheit geht. Das stellt für sie die Wirklichkeit auf den Kopf“, erklärt Peter Lintl, Israel-Experte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Er beobachtet aber auch ein zunehmend divergierendes Demokratieverständnis in den beiden Ländern: „In Israel werden Minderheitsmeinungen eher marginalisiert.“ Bei Netanjahus Gesprächsabsage mag nicht zuletzt das schlechte Image Gabriels eine Rolle gespielt haben. Nach dem Motto: Mit dem kann man es ja machen. Das gilt auch andersherum. Lintl: „Letztlich hat der Eklat beiden Politikern genutzt.“

Schimon Stein erinnert daran, dass es auch andere Meinungen in Israel gibt, zumindest was die NGOs angeht: „Ich habe solche Treffen immer befürwortet, aber dann sollte man auch mit Vertretern des anderen politischen Flügels sprechen. Man muss sich bei Besuchen schließlich ein Bild machen.“ Bei seiner Visite in dieser Woche wird sich Gabriel nach den Zukunftsplänen der Regierung Netanjahu erkundigen: Wo geht es hin nach der Trump-Entscheidung zu Jerusalem und dem Ausfall der Amerikaner als ehrlicher Makler im sogenannten Friedensprozess? Was ist mit dem Siedlungsbau? Ist die Zweistaatenlösung, an der die Deutschen und die Europäer unbeirrt festhalten, 51 Jahre nach dem Beginn der Besatzung noch eine Option?

Auch auf israelischer Seite hat man Fragen, so etwa nach Berlins Verhältnis zu Teheran. Nicht nur dass im Iran Proteste gewaltsam niedergeschlagen wurden, fanden in der Bundesrepublik im Januar auch Razzien gegen iranische Agenten der Quds-Brigaden statt, die mögliche jüdische und israelische Anschlagziele ausspionierten. In Jerusalem will man wissen: Wie steht Berlin dazu? Und wie vor diesem Hintergrund zu den politischen und wirtschaftlichen Kontakten? Wie zum Nuklear-Deal, den die Israelis neu verhandelt haben wollen? Und was ist mit dem Erstarken des Antisemitismus in Deutschland?

Nicht zuletzt könnten Gabriel und Netanjahu in Jerusalem auch über einen Termin für die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen sprechen. Diese wurden 2017 abgesagt, angeblich wegen des sogenannten Regulierungsgesetzes, das die israelische Enteignung palästinensischer Landes legitimieren soll.