Berlin.

Ulrike Mascher weiß, wie es geht. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK kennt das politische Geschäft aus nächster Nähe. Für die SPD saß die 79-Jährige lange im Bundestag. Die Rentenreformen von Arbeitsminister Walter Riester (SPD) hat sie als Parlamentarische Staatssekretärin begleitet. Seit zehn Jahren führt sie einen der mächtigsten Sozialverbände und kämpft für die Interessen von Rentnern.

Europa, Digitalisierung, Flüchtlingspolitik – das alles ist den Koalitionären in spe wichtig. Ein großer Schwerpunkt des Vertrags aber liegt auf der Sozialpolitik. Wirtschaftsverbände haben Bedenken. Sie befürchten höhere Kosten und weniger Flexibilität, etwa durch mögliche Einschränkungen bei befristeten Arbeitsverträgen. Sozialverbänden wie dem VdK aber geht das bisher Beschlossene nicht weit genug. Die Gewerkschaften sehen im Ergebnis der Sondierungen nur eine „gute Grundlage“ für weitere Verhandlungen. DGB-Chef Reiner Hoffmann erwartet „deutlich mehr Anstrengungen“, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken: mehr Investitionen in der Bildungspolitik, Änderungen im Arbeitsrecht, wie eine leichtere Rückkehr aus Teilzeitarbeit in Vollzeit, sowie mehr Engagement, um die Bindung von Unternehmen an Tarifverträge zu erhöhen.

Privatpatienten sollen Ärztenkeine Vorteile mehr bringen

Auch SPD-Mitglied Mascher meint, ihre Partei müsse in den Verhandlungen mit der Union noch „deutlich nachbessern“. Mit den bisher gefassten Plänen könne die soziale Spaltung der Gesellschaft nicht überwunden werden. Positiv sei, dass sich beide Seiten darauf geeinigt hätten, dass Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Rentner wieder jeweils die Hälfte des Krankenkassenbeitrags zahlen sollen. Weniger gut kommt bei ihr an, dass CDU und CSU bisher alle Schritte hin zu einer Angleichung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung blockieren. „Ärzte dürfen aus der Behandlung von Privatpatienten keine finanziellen Vorteile mehr ziehen“, sagt Mascher. „Sie dürfen keine Anreize haben, Kassenpatienten nicht zu behandeln oder länger warten zu lassen.“ Es sei notwendig, dass Ärzte sowohl von den gesetzlichen als auch von den privaten Krankenversicherungen das identische Honorar für eine bestimmte Behandlung bekämen. Auch die Union ist inzwischen bereit, über eine bessere Versorgung von Kassenpatienten zu sprechen. Sie sollen schneller Termine bei Fachärzten bekommen.

Das Thema, das die VdK-Chefin und ihre Rentner aber am meisten umtreibt, ist die Mütterrente. Das warmherzig klingende Schlagwort bezeichnet die bessere Anerkennung von Erziehungszeiten für Kinder: Lange Jahre bekamen Mütter, deren Nachwuchs vor 1992 geboren wurde, nur ein Erziehungsjahr für ihre Rente angerechnet. Seit 2014 sind es zwei Jahre. Mascher will nun erreichen, dass es drei Jahre werden. Drei Jahre bekommen auch Frauen angerechnet, die nach 1992 Mutter geworden sind.

Das Problem: Die Mütterrente ist teuer. Jedes Jahr nachträglich angerechnete Erziehungszeit kostet etwa sieben Milliarden Euro. Im vergangenen Koalitionsvertrag – damals ging es ums zweite Erziehungsjahr – hatten Union und SPD das Geld großzügig bereitgestellt. Nun wollen sie sparsamer sein. Das dritte Jahr Mütterrente sollen nur Frauen bekommen, die drei und mehr Kinder vor 1992 bekommen haben. Das sei „zutiefst ungerecht“, empört sich Ulrike Mascher. Es könne nicht Mütter erster und zweiter Klasse geben. „Sollte das wirklich so bleiben, dann werden Union und SPD richtig Ärger bekommen“, droht sie. „Das dritte Jahr muss für alle Mütter kommen. Das Geld dafür ist da.“

Mascher will die zusätzliche Leistung, die pro Kind und Monat eine um rund 30 Euro höhere Rente bewirken würde, aus Steuergeld und nicht aus der Rentenkasse bezahlt sehen. Kindererziehung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die 21 Milliarden Euro, die für alle drei Jahre Mütterrente fällig wären, könnten ohne Probleme aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden. „Das Geld kann bei den Rüstungsausgaben oder an anderer Stelle gekürzt werden“, glaubt die VdK-Chefin. Es sei eine Investition gegen Altersarmut. Mehr als 300 000 Frauen bekämen aktuell so wenig Rente, dass sie auf die staatliche Grundsicherung angewiesen seien. Die Mütterrente – das dürfte die Nagelprobe für die große Koalition werden.

Dass die Union an der „schwarzen Null“ festhält, kann der für Finanzpolitik zuständige DGB-Vorstand Stefan Körzell nicht verstehen. Das sei „nicht zielführend“, sagt er. Körzell meint, Unternehmer und Vermögende müssten höhere Steuern als heute zahlen. Die Vermögenssteuer müsse wieder, die Abgeltungssteuer neu eingeführt werden.