Berlin.

Die Regierungsbildung zieht sich hin – und jetzt bekommen Union und SPD mächtig Druck aus der Wirtschaft. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) macht Front gegen das Sondierungspapier der beiden Parteien. „Union und SPD enttäuschen die Wirtschaft mit einem äußerst mageren Sondierungsergebnis, das nur ein Minimum erwartbarer Vorschläge anbietet“, sagt BDI-Präsident Dieter Kempf dieser Redaktion.

Auf zentralen Feldern vermisst der BDI „Ambition und Gestaltungskraft“. Kempf mahnt: „Die künftige Regierung muss mehr Wirtschaft wagen – in der Digitalisierung, beim internationalen Steuerwettbewerb und in der Energiewende.“

Der mächtige Industrieverband moniert beispielsweise, dass in der Sozial- und Rentenpolitik die öffentlichen Haushalte und die Unternehmen weiter belastet würden. Das Sondierungsergebnis lasse außerdem „Wertschätzung“ für Industrie, Unternehmen und Mittelstand vermissen.

Es sind ungewöhnlich harte Worte, die der BDI-Präsident findet. Er ruft Union und SPD dazu auf, das Paket der Vereinbarungen noch einmal aufzuschnüren, um „ganz neue Inhalte und Impulse“ zu ergänzen. Auch die SPD hatte nach ihrem Sonderparteitag am Wochenende verlangt, das Sondierungsergebnis neu zu bewerten – allerdings aus anderen Gründen: Die Sozialdemokraten wollen der Union weitere Zugeständnisse bei den befristeten Arbeitsverträgen und der Gesundheitspolitik abtrotzen, die nicht im Sinne der Wirtschaft sein dürften. CDU-Chefin Angela Merkel nennt das Sondierungspapier einen „Rahmen“ für die Koalitionsverhandlungen. Die Union will keine großen inhaltlichen Veränderungen mehr.

Die Industrie hat klare Vorstellungen, wie die Verhandlungen in den kommenden Wochen ablaufen sollen. „Entscheidend ist, dass die GroKo-Verhandlungen nicht zur reinen Abwehrschlacht gegen Wünsch-dir-was-Ansprüche mutieren“, verlangt Kempf. Wer eine erfolgreiche Zukunft der deutschen Wirtschaft wolle, dürfe nicht nur verwalten, sondern müsse auch gestalten. Auf 16 Seiten hat der BDI seine Forderungen zusammengestellt. Die wichtigsten Punkte:


Digitalisierung
Besonders scharfe Kritik äußert der BDI an der vorgesehenen Digitalpolitik. Hier gebe es einfach keine Strategie: „Vier Trippelschritte in die richtige Richtung ergeben noch kein schlüssiges Gesamtkonzept. Viele einzelne Maßnahmen dürften insgesamt mehr Belastungen als Entlastungen für die Industrie bedeuten“, bemängelt der BDI-Präsident. Es gebe keine Vision für ein digitales Deutschland, kein nachhaltiges Finanzierungskonzept und kein ambitioniertes Arbeitsprogramm. Für die Wirtschaft stelle besonders die mangelnde IT-Sicherheit ein großes Problem dar. Cybersicherheit sei „entscheidend für den Erfolg von Industrie 4.0 und der digitalen Gesellschaft“. Der BDI beanstandet, dass dieses Politikfeld beim Thema Digitalisierung gar nicht auftaucht, sondern im Kapitel Rechtspolitik. Stark macht sich der Verband für EU-einheitliche Mindeststandards bei der IT-Sicherheit. Beim Breitbandausbau sieht die Indus­trie kein überzeugendes Finanzierungskonzept.

Steuerpolitik
„Mager“ nennt der BDI die Ergebnisse bei der Steuerpolitik. Der Verzicht auf tarifliche Erhöhungen bei der Einkommensteuer – in Zeiten von hohen Überschüssen ohnehin eine Selbstverständlichkeit – dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vereinbarten Entlastungen minimal ausfallen, so der Verband. Union und SPD wollen die Steuern nicht auf breiter Front senken. Die Entlastung beschränkt sich auf den Soli-Zuschlag, der am Ende der Wahlperiode zur Hälfte abgeschafft werden soll, aber nicht für alle. Konkret können Arbeitnehmer mit weniger als 60.000 Euro Jahresverdienst darauf hoffen, keinen Soli mehr zu zahlen. Für höhere Einkommen gibt es keinen Cent Entlastung. Sie zahlen den Soli wie bisher. Wer Einkommen aus Zinsen hat, zahlt sogar mehr Steuern als bislang: Die Abgeltungsteuer, mit der Zinserträge pauschal mit 25 Prozent besteuert werden, soll wegfallen. Für Zinserträge gilt dann die Einkommensteuer. „Steuerliche Standortpolitik bleibt weiterhin in erster Linie auf die Abwehr von Steuervermeidung beschränkt“, konstatiert der BDI.

Rechtspolitik
Der Industrieverband kritisiert, dass Themen wie der Schutz geistigen Eigentums oder die Weiterentwicklung des Datenschutzes in den Vereinbarungen nicht behandelt worden sind. Außerdem übt die Vereinigung Kritik an den geplanten schärferen gesetzlichen Vorgaben für Frauen in Führungsgremien von Unternehmen. „Statt Diversity-Ziele auf verfassungsrechtlich bedenkliche Weise gesetzlich vorzuschreiben“, sollte eine neue Bundesregierung die Unternehmen unterstützen, „weibliche Fach- und Führungskräfte zu gewinnen und zu fördern“, heißt es auf Seite elf des Papiers.

Außenwirtschaft
Was den für Deutschland als Exportnation so wichtigen Außenhandel angeht, stellt der BDI nüchtern „allgemeine und zum Teil widersprüchliche Ausführungen“ fest. Zu den wichtigen Handelspartnern USA und China würden überhaupt keine Aussagen getroffen. Im Sondierungspapier lautet die entsprechende Textpassage: „Wir wollen freien und fairen Handel in der Welt. Protektionismus lehnen wir ab und setzen vorrangig auf multilaterale Vereinbarungen.“ Das sei zu wenig, so der BDI.

Klima
Beim Thema Klima und Klimaschutz ist der Verband zufrieden. Die Absage an einen sofortigen Kohleausstieg kommt den Interessen der Industrie entgegen. Als „falschen Weg“ bezeichnen die Lobbyisten allerdings das geplante Klimaschutzgesetz, welches die Einhaltung der Klimaschutzziele 2030 gewährleisten soll.