Berlin.

Für Leute wie Amancio Ortega und Jeff Bezos war 2017 ein gutes Jahr: Ortega, Gründer der Modekette „Zara“, und Amazon-Gründer Bezos gehören zu den reichsten Menschen der Welt – und damit zu einer Gruppe, auf deren Konten der größte Teil des weltweit im vergangenen Jahr entstandenen Vermögens landete. 82 Prozent des globalen Vermögenswachstums gingen 2017 an das wohlhabendste Prozent der Weltbevölkerung, wie die Hilfsorganisation Oxfam in einer neuen Untersuchung herausfand. Das Vermögen der ärmsten 50 Prozent der Menschen blieb demnach in derselben Zeit gleich.

Vor der 48. Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos, das an diesem Dienstag beginnt, rief die Organisation die Teilnehmer auf, gegen die Steuervermeidung vorzugehen. Zudem müssten sie faire Einkommen für Männer und Frauen durchsetzen sowie in Bildung und Gesundheit für alle investieren. „Soziale Ungleichheit ist ein Hemmschuh für die Beseitigung der Armut in der Welt“, sagte Jörn Kalinski, Kampagnenleiter von Oxfam Deutschland.

Die Oxfam-Studie, für die der Weltvermögensbericht der Schweizer Bank Credit Suisse und Daten des Magazin „Forbes“ ausgewertet wurden, dokumentiert eine wachsende, dramatische Ungleichheit zwischen den ärmsten und den reichsten Menschen der Welt. Nach Angaben der Wissenschaftler besitzt das wohlhabendste Hundertstel der Menschheit mehr als die übrigen 99 Prozent gemeinsam. Zudem stieg die Zahl der extrem reichen Privatpersonen im vergangenen Jahr so stark wie nie zuvor: Jeden zweiten Tag kam laut Oxfam ein neuer Milliardär hinzu. 2043 Menschen weltweit mit Vermögen im mindestens zehnstelligen Dollar-Bereich gibt es derzeit – ein Rekord, so die Hilfsorganisation. 90 Prozent der Milliardäre sind Männer.

Die Oxfam-Studien zur weltweiten Vermögensverteilung sind jedoch nicht unumstritten. Im vergangenen Jahr gab es breite Kritik an den Berechnungen. Oxfam rechtfertigte sich: Der Bericht wolle „keine Wissenschaft sein“, die Analyse beruhe auf Schätzungen.

Die aktuelle Studie blickt auch auf Deutschland: Hierzulande profitieren von einer boomenden Wirtschaft vor allem jene, die bereits extrem gut situiert sind. Während das Vermögen der ärmeren Hälfte der Bundesbürger im vergangenen Jahr um drei Prozent wuchs, lag dieser Wert für das reichste Prozent der Deutschen bei 22 Prozent. Deutschland sei damit nach Litauen der Staat mit der höchsten Ungleichheit in der Eurozone.

Auch in Deutschland wachsen die Unterschiede

Auch bei den Einkommen wachsen die Unterschiede. Die Einkommen der ärmsten 40 Prozent der Deutschen sind seit der Jahrtausendwende „deutlich“ gesunken, konstatiert Oxfam, während die oberen zehn Prozent „deutlich überdurchschnittlich“ gewachsen seien. Diese Ergebnisse decken sich mit denen, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Dezember veröffentlichte. Nach den Zahlen des DIW verfügen die unteren 50 Prozent in Deutschland derzeit nur noch über 17 Prozent des Gesamteinkommens. Dieser Wert lag in den 60er Jahren noch bei rund einem Drittel.

Erfolgsfaktoren wie Geschäftstalent, harte Arbeit und Risikobereitschaft erklären dabei nur einen kleinen Teil dieser Diskrepanz, so die Autoren der Oxfam-Studie. Extrem große Vermögen entstünden stattdessen häufig aus Monopolen, Vetternwirtschaft und großen Erbschaften. Ein ganzes Drittel der Vermögen der Superreichen ist laut Oxfam ererbt.

Ein großer Teil der Weltbevölkerung kann dagegen seinen Kindern wenig bis gar nichts hinterlassen. Zwar hat sich die Zahl der Menschen, die pro Tag weniger als 1,90 US-Dollar (etwa 1,55 Euro) zur Verfügung haben, zwischen 1990 und 2010 halbiert und sinkt seither weiter. Eines der Millenium-Ziele der Vereinten Nationen gilt so als erreicht. Doch noch immer leben 700 Millionen Menschen nach Angaben der Hilfsorganisation unterhalb dieser Grenze und gelten so als „extrem arm“. Auch viele, die nicht in dieses Segment fallen, sind laut der Studie „nur einen Schritt davon entfernt“, in die absolute Bedürftigkeit zurückzufallen: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung muss ihren Lebensunterhalt mit zwei bis zehn Dollar am Tag bestreiten. Das entspricht 1,63 Euro bis 8,17 Euro. Besonders betroffen von Ungleichheit sind dabei Frauen. Weltweit verdienen sie laut der Nichtregierungsorganisation durchschnittlich 27 Prozent weniger als Männer. Zudem besitzen sie weniger Aktien, weniger Land und andere Wertanlagen als Männer.

Ein Grund für wachsende Ungleichheit ist laut den Forschern der steigende Druck auf Unternehmen, die Dividende für Aktionäre zu erhöhen. Um diese zu garantieren, würden Kosten gesenkt, vor allem, indem schlechtere Löhne gezahlt würden. Ungleichheit wachse deshalb unter anderem dort, wo Gewerkschaften an Einfluss verlieren würden.

Oxfam-Kampagnenleiter Kalinski sieht in der wachsenden Ungleichheit eine Entwicklung, die „katastrophal“ ist für den Zusammenhalt von Gesellschaften. Ungleichheit bremse nicht nur Fortschritt, sie verschärfe auch eine politische Krise: Zahlreiche Menschen würden das Interesse an Politik verlieren, „weil sie ihre Belange nicht mehr repräsentiert sehen“, sagt Kalinski. In der Folge hätten dann Unternehmen mehr Spielraum, Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen. „So trägt Ungleichheit dazu bei, dass auch Menschen in der Mitte der Gesellschaft, die nicht von Armut betroffen sind, sich zunehmend von sozialem Abstieg bedroht oder von der Gesellschaft nicht anerkannt fühlen“, so Kalinski.