Berlin.

Europa und die Welt schauen an diesem Sonntag auf Bonn und die SPD. Das waren kürzlich die pathetisch-mahnenden Worte von Außenminister Sigmar Gabriel an seine zerrissene Partei, beim Sonderparteitag in der früheren Bundeshauptstadt im Streit über eine große Koalition den Blick für das große Ganze nicht zu verlieren. Bei den Sondierungsgesprächen mit der Union war Gabriel gar nicht dabei. Das wollten SPD-Chef Martin Schulz und die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles so – ein Fehler? Wie eine exklusive Umfrage der Meinungsforscher von Kantar Emnid für diese Redaktion zeigt, trauen deutlich mehr Bürger Gabriel – der bis Anfang 2017 fast acht Jahre lang die SPD anführte – und nicht seinem Nachfolger Schulz zu, die Sozialdemokraten aus ihrer existenziellen Krise herauszuführen. Für Schulz, dessen politisches Schicksal in Bonn mit auf dem Spiel steht, sind es wenig ermutigende Zahlen. Nur 28 Prozent der Befragten sind der Ansicht, Schulz könne die SPD-Erneuerung erfolgreich meistern. Das reicht in der Rangliste zehn abgefragter SPD-Spitzenpolitiker nur für einen Mittelfeldplatz. Schlimmer noch: 58 Prozent glauben, die Sanierung der SPD sei für den gescheiterten Kanzlerkandidaten eine Nummer zu groß.

In diesem repräsentativen Befund sind sich Frauen und Männer – egal, ob sie im Westen oder Osten leben – weitgehend einig. Die SPD-Anhängerschaft ist in Sachen Krisenmanagement des Vorsitzenden gespalten. Immerhin 52 Prozent stehen zu Schulz, 44 Prozent halten ihn für überfordert. Interessant ist, dass Schulz unverändert bei Jüngeren große Zustimmung findet. Fast jeder Zweite der 14- bis 29-Jährigen traut ihm die SPD-Sanierung zu. Dabei ist es gerade der SPD-Nachwuchs von den Jusos, der ihm mit seiner No-GroKo-Kampagne das Leben schwer macht. Je älter die Bürger, desto stärker sackt der Vertrauensvorschuss für Schulz ab. So ist er nur noch für jeden fünften der über 60-Jährigen der richtige Mann für die Stabilisierung der ältesten deutschen Partei.

Im Gesamt-Ranking ganz oben steht unangefochten Gabriel. 48 Prozent der Befragten sagen, der Außenminister und Vizekanzler habe das Zeug für die SPD-Rettung, 39 Prozent glauben das nicht. Von den SPD-Anhängern trauen ihm 53 Prozent zu, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ein Comeback an der Parteispitze dürfte unwahrscheinlich sein – dafür ist Gabriel in Bundestagsfraktion und Parteivorstand zu unbeliebt. Gabriel kämpft, in einer möglichen neuen GroKo Außenminister zu bleiben oder Finanzminister zu werden.

Scholz wird wie Gabriel als Finanzminister gehandelt

Am zweitbesten im Ranking schneidet Fraktionschefin Nahles ab – jedoch mit klarem Abstand zu Gabriel. Ihr trauen 32 Prozent der Befragten zu, die SPD besser aufzustellen. Knapp jeder zweite Deutsche verneint das. Bei den SPD-Anhängern genießt die Ex-Arbeitsministerin mit 47 Prozent erheblich mehr Vertrauen. Knapp hinter Nahles landet in den Top Ten mit 31 Prozent die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer auf Rang drei. Dreyer, frischgebackene Bundesvize, wies größere Ambitionen gerade erst zurück. „Ich werde nicht nach Berlin gehen. Ich stehe nicht zur Verfügung, weder heute noch morgen, noch in zwei Jahren.“

Auf Platz vier findet sich Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz (ebenfalls 31 Prozent) wieder. Scholz wird wie Gabriel in der SPD als möglicher Finanzminister gehandelt, er fühlt sich aber an Alster und Elbe trotz seiner Probleme rund um die Krawalle beim G20-Gipfel im Vorjahr sehr wohl. Hinter Schulz (Platz fünf) rangiert Manuela Schwesig mit 25 Prozent. Die ehrgeizige Ex-Bundesfamilienministerin wechselte im Sommer 2017 als Ministerpräsidentin nach Mecklenburg-Vorpommern. Auf Rang sieben folgt punktgleich (25) Bundesjustizminister Heiko Maas. Er erntete zuletzt Kritik für sein Gesetz zum Löschen von Internet-Hasskommentaren. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil erreicht mit 22 Prozent Platz acht. Ihm folgt die geschäftsführende Familien- und Arbeitsministerin Katarina Barley (13 Prozent). Schlusslicht ist der nordrhein-westfälische Landeschef Michael Groschek (11 Prozent). Er ist bundesweit wenig bekannt, dafür beim Sonderparteitag in Bonn eine wichtige Größe. Die NRW-Delegierten stellen rund ein Viertel der 600 Delegierten, die über Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU abstimmen.