Brüssel.

Europas Vorhut im Kampf gegen Fake News sitzt in einem Brüsseler Großraumbüro mit Blick auf eine große Hauptverkehrsstraße. Ein gutes Dutzend EU-Beamte sichtet hier einschlägige Webseiten, durchforstet soziale Medien, prüft obskure Berichte. Zum Beispiele diese hier: In Dänemark liefern Bürger angeblich ihre lästig geworden Haustiere in Zoos ab, wo sie an Raubtiere verfüttert werden. Die EU-Kommission beschuldigt die Ukraine, eine Heroin-Schwemme in Europa zu verursachen. Und arabische Flüchtlinge ermorden zwei junge Tschechen vor einer Diskothek.

Keiner dieser drei im Internet kursierenden Berichte entspricht der Wahrheit, wie die Anti-Lügen-Einheit in akribischer Arbeit belegt. Auf einem eigenen Internetportal und per Newsletter werden die Fake News mitsamt den Tatsachen veröffentlicht. „Innerhalb von zwei Jahren hat die Task-Force 3000 Fälle gezielter Desinformation festgestellt“, bilanziert die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, der die Truppe unterstellt ist. Die Cyber-Sondereinheit des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) richtet sich gezielt gegen russische Fake-News-Produzenten – die erfinden in großem Maßstab mit Regierungshilfe falsche oder frisierte Nachrichten für das heimische und das westliche Publikum, um Misstrauen zu säen und Angst zu verbreiten.

Es ist ein ungleicher Kampf, nicht nur wegen der am Ende doch vergleichsweise geringen Zahl an enttarnten Lügen-Storys: Bis die EU-Beamten eine Falschmeldung entdeckt und widerlegt haben, ist sie schon tausendfach im Netz geteilt. Und viele der Konsumenten, die sich gegen unliebsame Wahrheiten abschotten, erreichen die Aufklärer gar nicht. „Die Erfahrung zeigt: Sind die Fake News raus, ist es schon zu spät“, sagt Mogherini.

Auch deshalb sucht die EU-Kommission jetzt nach einem umfassenderen Ansatz gegen die Desinformation: Sie will schon bei der Verbreitung von Lügen ansetzen. „Falschinformationen verbreiten sich in einem beunruhigenden Tempo, sie gefährden das Wohl der Demokratie und den guten Ruf der Medien“, sagte die für Digitales zuständige EU-Kommissarin Mariya Gabriel. Sie hatte zuvor die erste Sitzung einer Expertengruppe eröffnet, die im Frühjahr Vorschläge für eine europäische Strategie gegen Fake News vorlegen soll. Im Vordergrund stehen dabei jene Inhalte, die nicht grundsätzlich rechtswidrig sind. Kommissarin Gabriel hat schon angedeutet, dass auf die Online-Plattformen mehr Verantwortung zukommen könnte, falsche Informationen zu erkennen und zu entfernen.

Bislang gibt es auf EU-Ebene nur Selbstverpflichtungen der Unternehmen, aber keine verbindlichen Rechtsvorschriften; erwogen wird jetzt zum Beispiel, dass per Roboter massenhaft verbreitete Beiträge besonders gekennzeichnet werden. „Falsche Nachrichten sind eine direkte Bedrohung für die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaften“, sagt Kommissarin Gabriel. Nach ihren Angaben haben Social-Media-Unternehmen gegen Geld politische Kampagnen gefördert und die Nutzerzahlen nach oben getrieben. 20.000 Kommentare in einschlägigen Netzwerken gebe es für 5000 Euro, für ein paar Tausend Euro würden Hunderttausende Follower vermittelt. Von Mazedonien aus würden eine Reihe von Webseiten mit Fake News betrieben, die vor allem für US-Präsident Donald Trump Werbung machen.

Die Kommission ist sich bewusst, wie heikel alle Eingriffe sind, die schnell auch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit berühren. „Niemand hat die Absicht, die Bürger zu zwingen, eine bestimmte Information zu glauben oder nicht zu glauben“, versichert Kommissarin Gabriel. Der deutsche Alleingang mit dem umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz zur Entfernung illegaler Hassäußerungen wird in Brüssel kritisch gesehen. Kommissionsvizepräsident Andrus Ansip fürchtet, manche EU-Staaten könnten eine Regelung wie in Deutschland zur Einschränkung der Meinungsfreiheit missbrauchen.

Einigkeit besteht indes darin, die Arbeit der Brüsseler Fake-News-Einheit auszubauen: Das Budget für die Jahre 2018 bis 2020 wurde erhöht – rechtzeitig vor den Wahlen zum EU-Parlament im Mai 2019, in deren Vorfeld schon eine massive Desinformationswelle befürchtet wird.