Berlin.

Als Frauke Petry am Ende ihrer ersten Rede im Bundestag angekommen ist, ist es für einen Moment still im Plenum. Keine Hand rührt sich zum Klatschen, niemand johlt oder schimpft wie nach den Reden anderer Abgeordneter. Dann ruft Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki den nächsten Redner auf und Petry geht zurück an ihren Platz hinter den Reihen der AfD-Abgeordneten. Seit ihrem Austritt aus der AfD kurz nach der Wahl im September ist Petry fraktionslose Abgeordnete im Bundestag. Doch auch wenn sie und Ex-Mitglied Mario Mieruch dort allein sind, sind sie nicht die Einzigen: 21 ehemalige AfD-Politiker sitzen in den Landesparlamenten, ohne Mitglied einer Fraktion zu sein. Vielen von ihnen driftete die AfD zu sehr nach rechts. Andere mussten die Partei wegen persönlicher Verfehlungen verlassen. Alle verloren an Gestaltungsmöglichkeiten.

Kurz hatte es nach Petrys aufsehenerregendem Bruch mit ihrer Partei ausgesehen, als gerate da etwas ins Rutschen: Neben Petry und ihrem Ehemann Marcus Pretzell verließen nach der Bundestagswahl Mandats- und Parteiamtsträger vom Kreisvorsitzenden bis zum Bundestagsabgeordneten die Partei. Es bröckelte auf allen Ebenen. Doch die große Spaltung blieb aus, für neue Fraktionen oder parlamentarische Gruppen reichen die Zahlen der Ehemaligen selten. Und so sitzen nun in vielen Landesparlamenten Abgeordnete, einzeln oder zu zweit, die einst als Vertreter der AfD angetreten waren.

Die AfD verliert von Anfang an Abgeordnete

Das Phänomen ist nicht neu. Seit 2014 zieht die Partei in ein Landesparlament nach dem anderen ein, nur in Bayern und Hessen ist sie bislang nicht vertreten. Fast ebenso lang verliert sie immer wieder Mitglieder ihrer Fraktionen: Mal geht jemand zur CDU, wie Claudia Martin in Baden-Württemberg, oder zur SPD, wie Oskar Helmerich in Thüringen. In Bremen spaltete sich die Fraktion nach dem Weggang von AfD-Gründer Bernd Lucke, Abgeordnete schlossen sich Luckes neuer Partei oder bestehenden Fraktionen an.

Doch die allermeisten gehen, ohne woanders anzukommen: Von 30 Landtagsabgeordneten, die einmal Teil einer AfD-Fraktion waren, sitzen zwei Drittel nun isoliert im Plenum. Darunter ist auch Petry, die neben ihrem Sitz im Bundestag auch weiterhin Landtagsabgeordnete in Sachsen ist. Die Gründe für den Bruch mit der Fraktion sind dabei vielfältig. Immer wieder gingen Leute, weil sie sich mit dem Kurs der Partei nicht mehr identifizieren konnten. So trat im Juni 2017 Gottfried Backhaus wegen einer „Entwicklung hin zu extremen und radikalen Auffassungen und Handlungen“ aus der Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt aus. In Baden-Württemberg erklärte Heinrich Fiechtner im Dezember seinen Bruch mit der AfD im Stuttgarter Landtag. Vorausgegangen war ein monatelanger Streit, unter anderem wegen der Wiederannäherung an den Antisemiten Wolfgang Gedeon. In Mecklenburg-Vorpommern bildet eine Gruppe von vier ehemaligen AfD-Politikern nun die Fraktion „Bürger für Mecklenburg-Vorpommern“.

Andere, wie Kay Nerstheimer, gingen nicht freiwillig. Nerstheimer wurde in Berlin ins Abgeordnetenhaus gewählt, trat aber der Fraktion nicht bei, als Facebook-Posts öffentlich wurden, in denen er gegen Homosexuelle hetzte. Oder Holger Arppe, der die Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern verlassen musste, nachdem Whatsapp-Chats öffentlich wurden, in denen er über Pädophilie fantasierte und politische Gegner „an die Wand stellen“ wollte.

Dabei sind Abgeordnete als Einzelkämpfer eigentlich eine Seltenheit. „Die Zahl der fraktionslosen Abgeordneten im Moment ist bemerkenswert“, erklärt Alexandra Bäcker, Parteienforscherin am Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung der Uni Düsseldorf. Im Bundestag sei das Phänomen bis in die 80er-Jahre praktisch „nicht existent“ gewesen, sagt Bäcker. „Dann kam Herr Wüppesahl und dann wieder sehr lange niemand.“ Thomas Wüppesahl war 1987 für die Grünen in den Bundestag eingezogen, überwarf sich aber schnell mit der Partei. Als er 1988 die Fraktion verlassen musste, sah er sich durch den Wegfall einiger Rechte so sehr in der Ausübung seines Mandats eingeschränkt, dass er klagte. Am Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu seinem Fall orientiert sich bis heute, was fraktionslose Abgeordnete dürfen und was nicht. So erstritt Wüppesahl das Recht, in Ausschüssen zu sitzen und Änderungsanträge zu stellen. Stimmrecht in den Ausschüssen haben Fraktionslose allerdings nicht, und auch eigene Anträge können sie im Bundestag nicht einbringen. Zudem ist ihre Redezeit begrenzt. „Generell“, sagt Bäcker, „haben Abgeordnete ohne Fraktion wenig Einfluss auf das parlamentarische Leben und den Gesetzgebungsprozess.“

Fraktionslose für eine neue Parlamentskultur?

Auch Abgeordnete ohne Fraktion bekommen Diäten. In den Ländern liegen diese zwischen 2641 Euro und 8981 Euro im Monat, im Bundestag sind es 9542 Euro. Dazu kommen – je nach Bundesland – mehrere Tausend Euro an Aufwandspauschalen. Fraktionsmittel bekommen Petry und die anderen nicht.

„Es gibt Nachteile, das will ich gar nicht verhehlen“, sagt dazu Frauke Petry dieser Redaktion. Nach dem Bruch mit der AfD hat sie die sogenannte Blaue Partei gegründet. Nun versucht Petry, als einzelne Abgeordnete ihre Themen zu vertreten. „Der Bundestag ist für uns im Wesentlichen eine Möglichkeit, wahrgenommen zu werden“, erklärt die 42-Jährige. „Und wir werden versuchen, dafür zu werben, dass es ein neues, konstruktives parlamentarisches Miteinander gibt.“

Das hält Bäcker für eher unwahrscheinlich. „Ich glaube nicht, dass diese Abgeordneten eine neue parlamentarische Kultur durchsetzen können“, sagt die Forscherin. Parteien seien ein tragender Faktor der Demokratie. „Man muss sich nur mal einen Bundestag mit mehr als 700 Leuten vorstellen, die keinerlei Verbindung zueinander haben. Der wäre völlig entscheidungsunfähig.“