Washington.

„Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren, den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten. Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen ...“: Den Worten der Dichterin Emma Lazarus, die seit 1883 auf einer Tafel an der Freiheitsstatue in New York prangen, darf man entnehmen, dass viele Länder, aus denen Menschen einst nach Amerika flohen, unwirtliche, hässliche Orte waren. Sei es, weil Hungersnöte, Seuchen oder Kriege tobten. Sei es, weil Despoten die freie Religionsausübung mit dem Schwert bestraften und Misswirtschaft und Korruption das Leben zur Hölle machten. Die Vereinigten Staaten nahmen diese Menschen über Jahrhunderte ohne Unterschied auf. Und wurden so der größte Schmelztiegel, den die Welt je gesehen hat.

Dass Donald Trump, Nachfahre deutscher Einwanderer, mit diesem Eckpfeiler der Geschichte seines Landes Probleme hat, ist nicht neu. Seit Amtsantritt hat der Präsident Mexikaner vor laufender Kamera undifferenziert als „Vergewaltiger“ bezeichnet. Er hat nach übereinstimmenden Medien-Berichten Haitianern pauschal nachgesagt, dass sie Aids hätten. Er hat Flüchtlinge aus Syrien unter den Sammelverdacht gestellt, mit dem Terror-Netzwerk „Islamischer Staat“ zu kollaborieren und davor gewarnt, Menschen aus dem schwarz-afrikanischen Nigeria ins Land zu lassen. Begründung: Sie würden niemals „in ihre Hütten“ zurückkehren. Und er hat behauptet, durch die Visa-Lotterie (jährlich wurden bisher rund 50.000 Einreisegenehmigungen meist an Menschen aus Afrika verlost) kämen „die Schlimmsten der Schlimmen“ nach US-Amerika. Den Vorwurf, er sei ein Rassist, ließ Trump jedes Mal energisch dementieren. Die Zweifel daran sind bis in höchste Stellen der Vereinten Nationen, die von „schändlicher“ Wortwahl sprachen, noch größer geworden. In einer hochkarätig besetzten Sitzung im Weißen Haus ging es am Donnerstag um einen Kompromiss im Dauerstreit um rund 800.000 junge, illegale Einwanderer (Stichwort: Daca). Dabei soll Trump nach Angaben von mehreren Ohrenzeugen, die sich an die „Washington Post“ und die „New York Times“ wandten, den Karibik-Inselstaat Haiti, El Salvador und pauschal die Staaten des afrikanischen Kontinents als „Dreckslöcher“ (shitholes) bezeichnet haben, denen Einwanderer aus dem reichen Öl-Staat Norwegen vorzuziehen seien. Deren Ministerpräsidentin Erna Solberg war just am Tag zuvor im Weißen Haus zu Gast.

Binnen weniger Stunden liefen die Nachrichten-Ticker mit Protest-Noten über. Demokraten im Kongress warfen Trump „abscheulichsten und heimtückischsten Rassismus“ vor. Mia Love, Tochter von haitianischen Einwanderern und Abgeordnete der Republikaner, erklärte, Trump müsse sich für seine „unfreundlichen, spaltenden, elitären und offen gegen die Werte der USA gerichteten“ Worte öffentlich entschuldigen. Der African National Congress (ANC), die Regierungspartei Südafrikas, nannte Trumps Verhalten „beleidigend“. Botswana bestellte den amerikanischen Botschafter ein. Die schwarze US-Bürgerrechts-Organisation NAACP wurde grundsätzlich: „Durch den unbedarften, kaltschnäuzigen und ungefilterten Rassismus, der wiederholt von Präsident Trump vertreten wird, ist die Stellung Amerikas als moralische Instanz in der Welt beschädigt worden. Seine Entscheidung, Obszönitäten zu benutzen, um afrikanische, zentralamerikanische und karibische Länder zu beschreiben, ist nicht nur ein Tiefpunkt für diesen Präsidenten, sondern ein Tiefpunkt für unsere Nation.“

Auf Nachfrage dementierte das Weiße Haus die inkriminierte Wortwahl zunächst mit keiner Silbe. Auch die republikanischen Abgeordneten, die bei dem Treffen anwesend waren, eilten nicht wie sonst üblich Trump zu Hilfe. Erst nach flächendeckend verheerender Medienresonanz rührte sich Trump am Freitagmorgen persönlich auf Twitter und bestritt die Vorwürfe: Er habe sich „hart“ ausgedrückt, sagte er. „Aber das war nicht die Sprache, die benutzt wurde.“ Was er stattdessen exakt gesagt haben will? Kein Kommentar. Nur so viel: „Habe niemals etwas Abwertendes über Haiti gesagt. Abgesehen davon, dass Haiti offensichtlich ein sehr armes und notleidendes Land ist. Ich habe wunderbare Beziehungen zu Haiti.“ Wahrscheinlich, so Trump, sei es geboten, „künftige Meetings mit dem Tonband aufzunehmen“. Es gebe „unglücklicherweise kein Vertrauen“. Der Sender CNN präzisierte die Vorwürfe später anhand eigener Quellen. Inhalt: Trump habe den „Drecksloch“-Vorwurf auf Afrika, nicht aber auf Haiti gemünzt. Mexikos Ex-Präsident Vincente Fox blieb trotzdem dabei. „Dein Mundwerk ist die größte Jauchegrube der Welt“, twitterte er an die Adresse Trumps, der sich auch in einem anderen Fall den Vorwurf gefallen lassen musste, einmal mehr nicht bei der Wahrheit zu bleiben.

Vor seiner mit Spannung erwarteten Entscheidung über das Atom-Abkommen mit dem Iran und seinem Routine-Gesundheitstest, der sich bis Freitagabend 22 Uhr deutscher Zeit hinziehen sollte, hatte Trump seine seit einem Jahr diskutierte Dienstreise zum engsten Verbündeten Großbritannien abgesagt. Begründung via Twitter: Er wolle nicht im Februar der Eröffnung der neuen US-Botschaft in London beiwohnen, weil es sich dabei um ein miserables Geschäft handele, das sein Vorgänger Obama zu verantworten habe.

Tatsache ist, dass der über eine Milliarde Dollar teure Neubau der diplomatischen Vertretung bereits zu Zeiten von Trumps republikanischem Parteikollegen George W. Bush eingefädelt worden ist. Außerdem glaubt in England eine Mehrheit, dass Trump nach diversen Zusammenstößen mit britischen Offiziellen schlicht Angst vor Massenprotesten hat, sollte er seinen Fuß auf englischen Boden setzen.