Athen.

Fast 2000 türkische Staatsbürger suchten bereits in Griechenland Zuflucht vor den „Säuberungen“ in ihrer Heimat. Doch auch im Exil fürchten sie den langen Arm des Staatschefs Erdogan – vor allem, seit die griechische Regierung jetzt acht geflohenen türkischen Soldaten das Asyl aberkennen will. Ein Verwaltungsgericht in Athen entzog am Montag auf Antrag der griechischen Regierung Süleyman Özkaynakci das erst vor zehn Tagen erteilte Asyl. Die Entscheidung gilt vorläufig bis zur Hauptverhandlung am 15. Februar. Özkaynakci wurde noch am Montag wieder festgenommen.

Er ist einer von acht türkischen Soldaten, die während des Putschversuchs vom Juli 2016 mit einem Hubschrauber nach Nordgriechenland geflohen waren und dort Asyl beantragten. Die Türkei verlangt ihre Auslieferung. Die Männer sollen als Putschisten vor Gericht gestellt werden. Die Affäre bringt den griechischen Premier Alexis Tsipras in Bedrängnis: Er hatte dem türkischen Staatschef Erdogan versprochen, die Soldaten in die Türkei zurückzuschicken. Doch dann untersagte das oberste griechische Gericht die Auslieferung. Die Männer erwarte in der Türkei kein faires Verfahren, stellten die Richter fest.

Jetzt will Tsipras den türkischen Staatschef mit seinem Einspruch gegen den Asylbescheid der eigenen Behörden milde stimmen. Türkische Exilanten sind alarmiert. Die acht Offiziere sind nicht die Einzigen, die in Griechenland Schutz vor Verfolgung suchen. Am frühen Morgen des 15. Dezember strandete ein Schlauchboot an der Küste der Ägäisinsel Oinousses. Das Boot kam vom knapp zehn Kilometer entfernten türkischen Festland. An Bord waren 32 türkische Staatsangehörige: Lehrer, Akademiker, Ärzte, Staatsbedienstete, Freiberufler, darunter auch eine Familie mit vier kleinen Kindern. Sie beantragten noch auf der Polizeiwache der Insel Asyl. In der Türkei, so gaben die Flüchtlinge an, sei ihr Leben in Gefahr.

Fast 152.000 Menschen verloren ihre Jobs

Die Landung der 32 auf Oinousses sei „kein ungewöhnlicher Vorgang“, teilte das griechische Ministerium für Migration mit. So etwas komme häufiger vor. Nach inoffiziellen Angaben haben in den ersten sechs Monaten nach dem gescheiterten Putschversuch 138 türkische Staatsangehörige in Griechenland Asyl beantragt. Inzwischen ist die Zahl der Schutzsuchenden aber stark angestiegen. Auf der Flucht vor Erdogans Verfolgungen kamen im Jahr 2017 rund 1750 türkische Bürger nach Griechenland. Nicht allen gelingt die Flucht. Am 26. Dezember wurden zwölf Türken bei dem Dorf Büyükdoganca kurz vor der griechischen Grenze von der Polizei gestellt und festgenommen. Sie sollen jetzt vor Gericht gestellt werden.

Einer von jenen, die es schafften, ist Erdal. Der 35-Jährige arbeitete als Lehrer an einer Privatschule im Westen der Türkei, bis er Ende 2016 seine Lehrberechtigung verlor und entlassen wurde – einer von mehr als 30.000 Lehrern staatlicher und privater Schulen, die Erdogan seit dem Putschversuch mit Präsidialdekreten feuern ließ. Um seiner befürchteten Festnahme zu entgehen, setzte sich Erdal mit seiner Frau nach Griechenland ab. 2800 Dollar zahlten die Eheleute an einen Schleuser, der sie in einem Boot gemeinsam mit syrischen und afghanischen Flüchtlingen zur griechischen Insel Lesbos brachte.

„Ich weiß immer noch nicht, was man mir vorwirft“, sagt der Pädagoge. Er vermutet, dass ihm sein Konto bei der Bank Asya zum Verhängnis geworden ist, einem inzwischen zerschlagenen Geldinstitut, das zum Netz des Predigers Fethullah Gülen gehört haben soll. Staatschef Erdogan sieht in seinem Erzfeind Gülen den Drahtzieher des Putschversuchs. Erdal bestreitet jede Verbindung zum Gülen-Netzwerk: „Wir sind völlig säkular und würden uns niemals für eine solche islamische Bewegung interessieren“, sagt er.

Welches Ausmaß die Jagd nach mutmaßlichen Gülen-Anhängern inzwischen erreicht hat, enthüllte vergangenen Freitag der türkische Innenminister Süleyman Soylu. Danach wurden im vergangenen Jahr 48.305 Menschen wegen angeblicher Verbindungen zur Bewegung des Predigers inhaftiert. 234.419 Bürgern wurde ihr Reisepass entzogen, damit sie das Land nicht verlassen können. Fast 152.000 Menschen verloren ihren Job – darunter Richter und Staatsanwälte, Professoren und Lehrer, Ärzte, Polizisten, Soldaten, Ministerialbeamte und Verwaltungsangestellte.

Der ehemalige Lehrer Erdal lebt seit sechs Monaten in einem Vorort im Westen Athens. Das Ehepaar zehrt von den Ersparnissen, schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. „Ich hätte nie gedacht, dass wir in Griechenland so herzlich aufgenommen werden“, sagt Erdal. Schließlich gelten Griechen und Türken als Erbfeinde. Die 400-jährige Besetzung Griechenlands durch die Osmanen ging zwar schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Ende, ist aber im Bewusstsein vieler Griechen allgegenwärtig. „Aber von dieser angeblichen Feindschaft spüren wir nichts“, sagt Erdal.

Seinen vollen Namen will der Lehrer nicht nennen. Wie die meisten türkischen Flüchtlinge lebt er konspirativ. Die Verabredung in einem Café im Vorort Aspropyrgos kam nur über mehrere Umwege zustande. Während der Unterhaltung sieht er sich immer wieder nervös um, spricht mit gedämpfter Stimme. „Erdogans langer Arm ist überall“, sagt er. Das Misstrauen sei deshalb groß, auch bei den Exilanten untereinander. „Wir kommunizieren möglichst nur persönlich, nicht per E-Mail oder Handy, denn da kann man abgehört werden.“ Es sei kein Geheimnis, dass der türkische Geheimdienst MIT in Griechenland zahlreiche Zuträger habe, meint Erdal.

In Kreisen griechischer Sicherheitsbehörden teilt man diese Einschätzung. Sie bekommt für die Schutzsuchenden noch größere Brisanz, seit Berichte über Todeskommandos zirkulieren, die angeblich geflüchteten türkischen Regierungskritikern im Ausland nachstellen. Der Kurdenpolitiker Garo Paylan berichtete kurz vor Weihnachten auf einer Pressekonferenz in Ankara über Mordpläne von Auftragskillern an kurdischen und türkischen Oppositionellen sowie an Journalisten, die nach Europa geflohen sind: „Ich rede von Todesschwadronen, die bewaffnete Attentate organisieren“, sagte Paylan. Wer die Auftraggeber sind, ließ der Politiker offen.