Kiew. In der Ukraine tobt ein Krieg zwischen dem System der Vetternwirtschaft und den Reformern. Präsident Poroschenko agiert unentschlossen

Es war der Neujahrsmorgen, als Spaziergänger eine Frauenleiche in einem Fluss im Norden Kiews entdeckten. Wie die Kiewer Polizei kurz darauf erklärte, handelte es sich um die prominente ukrainische Anwältin Irina Nosdrowska. Sie war erstochen worden. Der Mord wird mit einem Gerichtsverfahren in Verbindung gebracht, und mit dem vielleicht größten Problem der Ukraine – Korruption und Vetternwirtschaft.

Im September 2015 war Irina Nosdrowskas Schwester von einem betrunkenen Autofahrer getötet worden. Wie sich später herausstellte, war der Fahrer der Neffe eines einflussreichen ukrainischen Richters. Der Neffe wurde zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, sollte aber im Dezember 2017 überraschend vorzeitig freigelassen werden. Die Anwältin und Schwester des Opfers schritt ein und lenkte Medienaufmerksamkeit auf den Gerichtsprozess. Das Gericht entschied sich gegen die vorzeitige Freilassung. Der Vater des Verurteilten soll der Anwältin noch im Gerichtssaal gedroht haben: „Du wirst böse enden.“

Der Mord an Nosdrowska wird vielleicht nie ganz aufgeklärt werden, aber in Kiew wird er mit einem Kampf in Verbindung gebracht, der die Zukunft des Landes entscheiden könnte: das alte System der Korruption gegen all jene, die sich dagegen auflehnen. Aber die Position der ukrainischen Regierung und der politischen Eliten in diesem Kampf gegen Korruption ist alles andere als klar: Die Einrichtung eines unabhängigen Korruptionsgerichtshofs schiebt Präsident Petro Poroschenko vor sich her. Seit Monaten attackieren Politiker die ukrainische Antikorruptionsbehörde Nabu, die an vorderster Front in diesem Kampf steht. Erst im Dezember spitzte sich der Konflikt zwischen dem mächtigen Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko und der jungen, nach der ukra­inischen Revolution im Winter 2013/2014 gegründeten Behörde drastisch zu. Dabei wurde Nabu auf Druck westlicher Partner wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU gegründet. Die Europäische Kommission machte die Gründung und Finanzierung der Nabu sogar zu einer Voraussetzung für die visafreie Reise von Ukrainern in die EU.

Bisher sieht es so aus, als hätten die Nabu und ihr junger Chef Artem Sytnik ihren Job gut gemacht: Die Ermittler haben Hunderte von Verfahren angestoßen und einige vor Gericht gebracht, manche von ihnen reichen bis ganz nach oben. Aber mit dem Erfolg haben Artem Sytnik und seine Behörde sich auch mächtige Feinde gemacht, und die schlagen jetzt zurück. Anfang Dezember ließen Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdiensts SBU und von Luzenkos Staatsanwaltschaft eine verdeckte Operation der Nabu auffliegen und verhafteten dabei gleich den verdeckten Ermittler. In der Rada, dem ukrainischen Parlament, wollten Abgeordnete aus Poroschenkos Partei (BPP) und der Partei des ehemaligen Premierministers Arsenij Jazenjuk ein Gesetz verabschieden, mit dem sie Sytnik feuern könnten. Das konnte nur auf Druck der ausländischen Geldgeber verhindert werden.

Der Druck auf die Behörden wächst, international wie auch auf der Straße: „Die Verantwortlichen für Korruption müssen vor Gericht gebracht werden“, twitterte die amerikanische Botschaft in Kiew. Währenddessen demonstrierten in ukrainischen Hauptstadt 200 Menschen vor dem Polizeihauptquartier. Die Todesdrohungen gegen die Anwältin Nosdrowska seien bekannt gewesen, so die Demonstranten. Sie warfen der Polizei vor, bei ihrem Schutz versagt zu haben.