Berlin.

Mehr als zwölf Stunden hat sich die Spitze der SPD am Donnerstag auf die Gespräche mit CDU und CSU vorbereitet. Die neue Vizechefin der Sozialdemokraten, Natascha Kohnen, wird dabei sein, wenn sich beide Seiten am Sonntag im Willy-Brandt-Haus das erste Mal treffen. Im Herbst will Kohnen (50) bei der Landtagswahl in Bayern gegen den designierten Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) antreten.

Frau Kohnen, Sie sind aus München, für welchen Fußballverein schlägt Ihr Herz, Bayern oder 1860?

Natascha Kohnen: Für den FC Bayern. Alle meine Freunde sind Bayern-Fans.

In der Politik scheinen Sie eher ins Verlieren verliebt zu sein. Warum sonst engagiert man sich für die SPD?

Da liegen Sie falsch! Ich habe mit der Politik im Gemeinderat von Neubiberg im Landkreis München angefangen und da regiert wie in ganz vielen anderen Kommunen schon lange die SPD. Sozialdemokraten gewinnen in Bayern.

Trotzdem bekam die SPD bei der letzten Landtagswahl vor fünf Jahren nur 20 Prozent der Stimmen. Warum soll das in diesem Herbst anders werden?

Die Leute wollen einen anderen Politikstil. Sie wollen mehr Ernsthaftigkeit, Sachlichkeit, Ruhe. Die Zeit der Kraftmeierei von CSU-Männern ist vorbei. Bayern muss sozialer werden. Es geht uns gut, aber trotzdem haben viele Menschen Probleme, sich die Miete fürs Dach überm Kopf leisten zu können.

CSU-Spitzenkandidat Markus Söder soll Ministerpräsident werden. Und Sie werden dann im Herbst seine Stellvertreterin?

Meine Aufgabe ist es, zu beschreiben, wohin ich mit dem Land will. Die SPD muss viel stärker werden, damit sie das Leben der Menschen verbessern kann.

Die CSU schlägt in der Flüchtlings- und Asylpolitik scharfe Töne an. Belastet das die Gespräche über eine mögliche große Koalition in Berlin?

Flüchtlingspolitik muss man sachlich angehen und konstruktiv nach Lösungen suchen. Mich fragen zum Beispiel viele Leute: Warum arbeiten Flüchtlinge nicht? Das bedeutet für mich, dass wir uns um die Integration kümmern müssen, Jobangebote fördern und Sprachkurse anbieten. Die CSU schürt nur Angst und Panik.

Ist die CSU dann ein Koalitionspartner für die SPD?

Ich bin äußerst skeptisch. Ich bin keineswegs sicher, dass es eine große Koalition geben wird. Wir müssen abwarten, welche Angebote CDU und CSU in den Gesprächen wirklich machen. Wir haben klare Positionen, die alle in unserem Wahlprogramm stehen. Wenn wir nichts erreichen können, brauchen wir auch nicht weiterreden. Jetzt müssen wir sachlich und vertraulich gucken, was geht. Die CSU sollte nicht mit haltlosen Forderungen herumlaufen. Sie sollte sich mehr zurückhalten.

Eine der CSU-Forderungen ist, dass Flüchtlinge ihre Familie nicht nachholen können. Ist das mit Ihnen zu machen?

Mich verärgert diese Haltung extrem. CDU und CSU sollten sich fragen, was das C in ihrem Namen bedeutet und ob das christliche Familienbild für alle Menschen gilt oder nur für Deutsche. Die Union muss endlich aufhören, Angst zu verbreiten. Wir müssen Integration anpacken, gestalten. Für mich hat der Familiennachzug etwas mit Menschenwürde zu tun und Familie hilft der Integration.

Dann akzeptieren Sie auch die Vereinbarung von CDU und CSU nicht, dass es eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen geben soll?

Nein. Die „Obergrenze“ ist so ein Wort, von dem auch die CSU nicht weiß, wie man das eigentlich umsetzen soll. Das ist ein sehr populistischer Begriff. Wir dürfen die Leute nicht panisch machen, sondern müssen über Fluchtursachen, Rüstungsexporte und Entwicklungshilfe reden. Und wir müssen Einwanderung insgesamt klug steuern, etwa mit einem Einwanderungsgesetz.

Die CSU will Asylbewerbern auch die Leistungen kürzen.

Warten wir ab, ob die CSU das wirklich fordert. Ich halte nichts davon, Menschen gegeneinander auszuspielen. Politik muss für alle Menschen in diesem Land gleichwertige Lebensbedingungen herstellen.

Sie verhandeln in den Gesprächen mit der Union das Thema Wohnen. Wie wollen Sie Mieter besser schützen?

Es fehlt vorne und hinten an Wohnungen in Deutschland. Mieten werden zum Teil unbezahlbar. Wir müssen bis zu 400.000 neue Wohnungen im Jahr bauen. Dazu brauchen wir massive Investitionen in den sozialen Wohnungsbau. Und die Union muss ihre Blockade aufgeben und einer schärferen Mietpreisbremse mit mehr Rechten für die Mieter zustimmen. Für uns steht bezahlbarer Wohnraum für alle im Vordergrund, nicht die Gier nach Profit.

Selbst Familien mit zwei Einkommen können sich in Metropolen ein Eigenheim nicht mehr leisten. Wie will die SPD ihnen helfen?

Unteren und mittleren Einkommen fehlt es oft an Eigenkapital, um einen Immobilienkredit zu bekommen. Hier soll unser Familienbaugeld helfen, das nach Einkommen und Zahl der Kinder sozial gestaffelt ist. Das wirkt besser als die Gießkannen-Förderung, die die Union plant.

Welche Knackpunkte sehen Sie noch bei den Gesprächen mit der Union?

In der Gesundheitspolitik könnte es schwierig werden. Die Zwei-Klassen-Medizin, die oftmals im Wartezimmer spürbar ist, muss ein Ende haben. Wir brauchen einen Einstieg in die Bürgerversicherung. Und die Arbeitgeber müssen wieder genauso viel in die Krankenversicherung einzahlen wie die Arbeitnehmer. Das würde die Versicherten auf einen Schlag um Milliarden entlasten.

Können Sie die Parteibasis der SPD von einer Neuauflage der großen Koalition überzeugen?

Es kommt darauf an, ob CDU und CSU stark genug sind, weitreichende Zugeständnisse zu machen. Die Inhalte entscheiden. Und wir müssen sehen, ob das Vertrauen ausreicht. Ich habe noch kein ausreichendes Vertrauen in die Union. Der Alleingang von CSU-Landwirtschaftsminister Schmidt, der den Einsatz des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat in Brüssel gegen den Willen unserer Umweltministerin Hendricks durchgesetzt hat, war ein ziemlicher Hammer.

Was wäre denn die Alternative zur großen Koalition?

Wir dürfen uns keiner Option verschließen, da bin ich ganz eng bei der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Ich kann mir auch andere Modelle vorstellen, etwa eine Minderheitsregierung. Dazu, dass Frau Merkel das nicht will, kann ich nur sagen: So nicht! Wir müssen mutiger werden und neue Regierungsmöglichkeiten ausprobieren. Es ist auch nicht auszuschließen, dass unser Gegenüber mit seiner harten Haltung bei einigen Themen am Ende Neuwahlen provoziert.

Kann die SPD denn noch mit Kanzlerin Angela Merkel zusammenarbeiten?

Der Politikstil von Frau Merkel, dieses ewige Moderieren, ist tot. Die Jamaika-Verhandlungen heben gezeigt, dass sie damit gescheitert ist. Deshalb darf es ein „Weiter-so“ nicht geben.

Ist es clever, dass die SPD bei den Gesprächen mit der Union auf Sigmar Gabriel verzichtet?

Minister sind ganz bewusst nicht dabei, um zu signalisieren: Es geht nicht darum, irgendjemandem seinen Job zu sichern. Wir haben ein echt gutes Team. Das sind alles kluge Leute mit Fachkompetenz. Da sind Skeptiker dabei, die eine große Koalition kritisch sehen und andere, die ihr offen gegenüberstehen.