Berlin. Vor dem traditionellen Dreikönigstreffen der FDP verschärft sich die Debatte über den Kurs der Partei

Es gärt in der FDP. Die fast historische Geschlossenheit, mit der sich die Liberalen zurück in den Bundestag gekämpft haben, bekommt Risse. Denn: Nicht jeder in der Partei findet Christian Lindners Ausstieg aus den Jamaika-Sondierungen fraglos richtig, und nicht jeder applaudiert, wenn der Parteichef mit scharfer Kritik an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin die rechte Wählerflanke bedient. Bislang sind es vor allem liberale Urgesteine wie die Bürgerrechtler Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die öffentlich Kritik äußern. Doch auch in der Fraktion macht sich mancher Sorgen um den Kurs der Freien Demokraten.

Am Sonnabend trifft sich die FDP zum traditionellen Dreikönigstreffen in Stuttgart – kurz davor redet die ehemalige Bundesjustizministerin ihrer Partei ins Gewissen: Gerade noch habe die FDP vor einem „glänzenden Comeback“ gestanden, jetzt aber wachse die Skepsis, schrieb Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am Donnerstag in einem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“. Viele fragten sich, ob die Liberalen noch für „eine kraftvolle Politik der Freiheit und Verantwortung“ stünden. Zumal in der Opposition: „Durchsetzen kann man da leider nicht viel.“ Mit einem Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen wäre dagegen „doch endlich einmal Bewegung in die erstarrten politischen Strukturen gekommen“. Zuvor war schon der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum deutlich geworden: „Die FDP trägt jetzt eine Last mit sich. Sie hat einen Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust erlitten.“ Er hätte Jamaika gewagt.

Unmissverständlich ist auch Leutheusser-Schnarrenbergers Warnung mit Blick auf den Umgang der FDP mit der AfD: „Eine pure Abgrenzungsrhetorik alleine reicht nicht.“ Die FDP könne kein „rechtes Bollwerk für unzufriedene Wähler der früheren Volksparteien kurz vor der AfD sein“. Als guter Liberaler blinke man nicht einmal nach rechts, erinnerte sie ihre Partei. Das saß. Parteichef Christian Lindner griff noch am selben Vormittag zum Telefon, um mit der Parteikollegin zu sprechen.

Auch Stilfragen werdenjetzt öffentlich verhandelt

Lindner weiß, dass die Ex-Ministerin mit ihrer Sorge nicht allein steht. Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff etwa stellte sich am Donnerstag hinter sie: „Die Mahnung ist vollkommen richtig“, sagte der FDP-Politiker dieser Redaktion. „Wir können frustrierte Wähler von der AfD zurückgewinnen – aber nicht um jeden Preis.“ Die FDP stehe für Toleranz und Vielfalt.

Doch Lindner wählte wohl auch deshalb die Nummer der Parteikollegin, weil er ahnt, dass der Satz von der „Abgrenzungsrhetorik“ auf ihn persönlich zielen dürfte: Der Parteichef hatte in den letzten Wochen immer wieder erklärt, dass die FDP das exakte Gegenteil der AfD sei – gleichzeitig hatte Lindner sich mit seinen scharfen Forderungen zum Familiennachzug und zur Abschiebung von Flüchtlingen viele Freunde am rechten Rand gemacht. Anfang Dezember war Lindner bei AfD-Anhängern sogar beliebter als AfD-Parteichef Alexander Gauland.

Nach dem Telefonat mit seiner Parteikollegin ließ Lindner wissen, er sehe sich mit ihr auf einer Linie, ihr Appell bestätige seinen Kurs. Also alles kein Problem?

So einfach ist es nicht. Sieben Wochen nach dem Jamaika-Aus hat die FDP ihre Rolle noch nicht gefunden. Wie auch? Ohne neue Regierung gibt es keine neue Hackordnung in der Opposition. Und ohne klare Machtverhältnisse verhallt jeder Vorstoß zu einer bloßen Rempelei. Und schließlich: Sollte es am Ende doch zu Neuwahlen kommen, ist eh wieder alles offen.

Kein Wunder also, dass es in der Partei gärt – und sogar Stilfragen neuerdings öffentlich verhandelt werden: Nachdem FDP-Politiker wie Wolfgang Kubicki und Michael Theurer der CDU mehr oder weniger direkt konkrete Nachfolger für Parteichefin Angela Merkel vorgeschlagen hatten, erklärte Lambsdorff via Interview: „Personaldebatten in anderen Parteien sollten wir diesen ganz alleine überlassen. Da müssen wir aus der FDP heraus anderen keine Ratschläge erteilen.“ Kubicki seinerseits widersprach am Donnerstag seiner Parteikollegin Leutheusser-Schnarrenberger: Er finde nicht, „dass es in der Opposition zu wenige Möglichkeiten der politischen Gestaltung“ gebe. So viel offener Dissens ist neu.

Dabei hätte es für die FDP auch deutlich schlimmer kommen können: Die Umfragen sind nicht so stark eingebrochen, wie die Parteispitze nach dem Jamaika-Aus befürchtet hatte. Und den Unmut darüber, dass seine persönliche Beliebtheit gelitten hat, versteckt Lindner hinter Coolness: „Ich bin lieber berüchtigt als Everybody’s Darling.“ Doch bei vielen FDP-Anhängern, zumal in der deutschen Wirtschaft, herrscht noch immer Katerstimmung. Besser nicht regieren als schlecht regieren? Lindners Satz am Ende der Sondierungen passt denjenigen nicht, die endlich wieder auf liberalen Einfluss gehofft hatten.

Der Parteichef beginnt deswegen gerade die Tonlage zu ändern: Er gibt nicht mehr den trotzigen Koalitionsverweigerer, sondern den optimistischen Architekten neuer Bündnisse: „Wir möchten gerne in Hessen und in Bayern, wenn es geht, 2018 mitregieren.“ In beiden Ländern seien schwarz-gelbe Koalitionen denkbar, aber auch ein Jamaika-Bündnis. Der Plan dahinter: Die Liberalen wollen über den Bundesrat ihr politisches Gewicht in ganz Deutschland erhöhen.