Havanna.

Es ist in diesen Tagen schwer, einem Kubaner eine Meinung zu einem Ereignis zu entlocken, das man durchaus als historisch bezeichnen darf. Die einen wissen gar nichts davon, andere wollen sich lieber nicht äußern und viele andere glauben, dass das Land andere Probleme habe. Dabei steht das Ende der Ära Castro bevor. Die kommunistische Insel, die seit Jahrzehnten widerspenstig im kapitalistischen Meer dümpelt, wird wohl ab Mitte April einen Staatschef haben, der nicht Fidel oder Raúl mit Vornamen heißt. Falls die Nationalversammlung dann tatsächlich zusammentritt, wird der 86 Jahre alte Raúl Castro nach zehn Jahren an der Spitze des Staates abtreten. Sein Bruder Fidel, vor gut einem Jahr verstorben, hatte schon 2006 wegen Krankheit die politische Bühne verlassen.

Eigentlich war die entscheidende Sitzung der Nationalversammlung schon für den 24. Februar geplant. Aber kurz vor Weihnachten entschied die Führung in Havanna, das Ereignis vorerst um zwei Monate auf den 19. April zu verschieben. Der Wirbelsturm „Irma“ diente zur Begründung. Er habe so schwere Schäden hervorgerufen, dass man das Land erst später in die Hände eines neuen Staatschefs geben könne. Dieser, so wird gemutmaßt, heißt Miguel Díaz-Canel, ein vielen Kubanern unbekannter Funktionär der Nachwuchsgeneration aus der Provinz Santa Clara im Zentrum der Insel. Früher war der gelernte Elektroingenieur entgegen der Parteilinie durchaus schon mal für Blogger und Schwule eingetreten. Aber inzwischen ist er auf den offiziellen Diskurs und die offiziellen Inhalte eingenordet. „Die kubanischen Präsidenten werden stets die Revolution verteidigen. Vor allem brauchen wir Kontinuität“, sagte der designierte Nachfolger kürzlich, der mit 57 Jahren eine Art kubanischer Babyboomer ist. Mit seinen Worten machte er deutlich: Es bleibt auch später alles, wie es ist. Schließlich weiß auch Díaz-Canel, dass man nicht durch allzu viel Reformwillen auffallen sollte, wenn man im Post-Castro-Kuba Karriere machen will.

Leoncio Camacho steuert seinen Lada Nova, Baujahr 1984, durch den Stadtteil Vedado von Havanna. Der Biologe, 64 Jahre alt, ist ein Kubaner, wie ihn die Führung in Havanna liebt. Treu dem System, gebildet, informiert. „Díaz-Canel hat nicht das Charisma der Castros, er wird die Menschen nicht so mitreißen können als Präsident“, sagt Camacho. Er sieht die Veränderungen in seinem Land in den vergangenen Jahren positiv. „Wir brauchen die Öffnung, die private Initiative, den Tourismus“.

Washington setzt auf die Rhetorik des Kalten Kriegs

Aber gerade der hat nach Jahren des scheinbar unaufhörlichen Aufschwungs nachgelassen. Aktuell ist eigentlich Hochsaison auf der Insel mit dem abblätternden Charme. Aber man findet auch ohne Reservierung Plätze in privaten Restaurants, es gibt keine Schlangen vor dem hippesten Jazz-Club von Havanna, und die Kubaner, die ihr Geld mit Tourismus verdienen, klagen über fehlende Urlauber, welche die so dringend benötigten Devisen bringen.

Zum einen hat Wirbelsturm „Irma“ viele Urlauberressorts in Mitleidenschaft gezogen, zum anderen zeigen die neuen Sanktionen von US-Präsident Donald Trump ihre Wirkung. Anstatt die unter seinem Vorgänger Barack Obama begonnene Annäherungspolitik fortzusetzen, ist Washington vergangenes Jahr zur Rhetorik des Kalten Kriegs zurückgekehrt. Anfang November veröffentlichte die US-Regierung neue Reise- und Geschäftsbeschränkungen. Individualreisen sind für die meisten US-Amerikaner nicht mehr möglich; auch werden Geschäfte mit Staatsunternehmen der Insel erschwert. Bis Anfang November hatten rund 580.000 US-Amerikaner Kuba besucht, rund 250 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Aber inzwischen ist die Zahl der US-Urlauber deutlich zurückgegangen. Es ist kein wirklich guter Zeitpunkt für einen Führungswechsel.

Angeblich wuchs die Wirtschaft 2017 dennoch um 1,6 Prozent, wie Wirtschaftsminister Ricardo Cabrisas kürzlich sagte. Das widerspricht allerdings allen Vorhersagen internationaler Organisationen. Manche Experten sprechen sogar von einer geschrumpften Wirtschaft 2017.

Auch bei den Reformen hat die Regierung erst einmal die Bremse gezogen. Die Dezentralisierung der Staatsbetriebe ist auf die lange Bank geschoben. Auslandsinvestitionen werden nur schleppend genehmigt und auch der boomende Privatsektor wird von der Regierung eingebremst. Seit vier Monaten werden keine Lizenzen mehr für Restaurants, Zimmervermietungen und ähnlich lukrative Geschäfte ausgegeben. Kuba ist Anfang 2018 ein Land zwischen Zukunft und Vergangenheit, zwischen Stillstand und Aufbruch.