Brüssel. Beim Brüssler Gipfel torpediert Ratspräsident Tusk das Quotensystem zur Flüchtlingsaufnahme. Sanktionen gegen Russland werden verlängert

Zum Start einer engeren militärischen Zusammenarbeit von 25 der 28 EU-Staaten rücken die Regierungschefs am Donnerstag beim EU-Gipfel im Brüsseler Ratsgebäude zum Familienfoto zusammen. „Ein historischer Moment“, sagt Ratspräsident Donald Tusk. Und Kanzlerin Angela Merkel ist zufrieden, weil die Vereinbarung den Vorwurf widerlegen soll, die Bundesregierung sei auf europäischer Ebene nicht handlungsfähig. Das von Deutschland und Frankreich vorangetriebene Projekt ist der erste Schritt zu einer europäischen Verteidigungsunion. „Wir zeigen, dass wir trotz aller Differenzen die Einigkeit bewahren können“, erklärt Tusk. Doch ausgerechnet er ist es dann, der die vorweihnachtliche Harmonie stört.

Der Ratspräsident aus Polen hat vorab in einem Schreiben an die Regierungschefs das offizielle Ziel torpediert, alle EU-Staaten im Bedarfsfall zur Aufnahme von Flüchtlingen zu zwingen: Ein Quotensystem sei wirkungslos und spalterisch, meint er. Die EU-Kommission und viele Regierungen reagierten empört. Noch bevor das Thema am Gipfelabend aufgerufen wird, legt Tusk am Mittag nach: Die Migration spalte Europa in Ost und West, warnt er. Die damit verbundenen Emotionen machten es schwer, eine gemeinsame Sprache zu finden.

Tusks Position, auf die Umverteilung zu verzichten, sei „keine ausreichende Beratungsgrundlage“, kanzelt Merkel den Ratschef ab. Das europäische Asylsystem funktioniere nicht.

Der Streit hat seinen Ursprung in einer Entscheidung der EU-Innenminister, die auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 alle EU-Staaten dazu verpflichteten, eine bestimmte Quote von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland aufzunehmen – gegen den Widerstand aus Osteuropa. Polen, Ungarn und Tschechien weigern sich bis heute, auch nur jeweils wenige Tausend Migranten aufzunehmen. Dennoch soll aus dem Modell nach dem Willen der EU-Kommission – mit Unterstützung Deutschlands – eine Dauerlösung werden: Ihr Reformvorschlag sieht vor, dass in normalen Zeiten weiter jene Länder für die Aufnahme zuständig sein sollen, in denen die Flüchtlinge zuerst europäischen Boden betreten. Bei großen Flüchtlingswellen aber sollen alle EU-Staaten Migranten aufnehmen, sonst drohen hohe Geldstrafen.

Tusk dagegen versucht eine neue Strategie: Themen, die auf Ministerebene nicht zu klären sind, will er von den Chefs notfalls im offenen Streit abräumen lassen.

Einigkeit herrschte hingegen beim Thema Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Die Staats- und Regierungschefs konnten sich auf deren Verlängerung einigen, wie Tusk am Donnerstagabend twitterte. Die Strafmaßnahmen waren nach dem Absturz eines malaysischen Flugzeugs über der Ostukraine im Juli 2014 verhängt worden.