Berlin.

Der Zustand der Kanzlerin im Wartestand gefällt Angela Merkel augenscheinlich nicht. „Die Welt wartet eigentlich darauf, dass wir agieren können“, sagte sie etwas schmallippig zu Beginn der Woche und mahnte „zügige“ Gespräche mit der SPD an. Das Wort „zügig“ übernahm wenig später ihr Vertrauter, Fraktionschef Volker Kauder: „Ich wünsche mir, dass wir zügig arbeiten, dass wir gut vorankommen und nicht die Gespräche bis weit in das nächste Jahr hineinziehen.“

Auf den erfahrenen CDU-Politiker muss Merkel zählen, wenn es am heutigen Mittwoch mit den Sozialdemokraten zu ersten Gesprächen über eine neue große Koalition kommt. Getagt wird nur in einer Sechserrunde, lediglich die Parteichefs und Fraktionschefs sitzen zusammen. Merkel und Kauder für die CDU, Parteichef Horst Seehofer und der Vorsitzende der bayerischen Abgeordneten im Bundestag, Alexander Dobrindt, für die CSU. Für die Sozialdemokraten kommen Martin Schulz und Fraktionschefin Andrea Nahles. Um Ort und Zeit des Treffens wird ein großes Geheimnis gemacht, es soll zunächst nichts an die Öffentlichkeit dringen. Das Gespräch diene der Vertrauensbildung. So viel ist dann doch zu erfahren – man wolle noch keine Themen angehen, vielmehr einen Terminplan abstecken und mögliche inhaltliche Hindernisse identifizieren.

Keine Gespräche zwischen Weihnachten und Neujahr

Nach dem Vorgespräch will die SPD-Führung das Treffen am Freitag bewerten, Merkel unterrichtet ihren Bundesvorstand in einer Telefonkonferenz am Donnerstag. Danach ist noch ein Treffen avisiert, bevor es zwischen Weihnachten und Neujahr zumindest offiziell eine Gesprächspause gibt. Anfang Januar tagt die CSU-Landesgruppe im Kloster Seeon, ab dem 6. Januar könnte man dann sondieren.

Für Merkel ist die Mission Groko heikel. Sie will eine vierte Amtszeit als Kanzlerin. Dazu braucht sie, das betont sie immer wieder, eine stabile Regierung. Vorstellungen einer Minderheitsregierung oder einer Kooperationskoalition (Koko), eines Modells, bei dem nur bestimmte Kernprojekte im Koalitionsvertrag verankert werden und andere den Verhandlungen im Bundestag überlassen bleiben, lehnt Merkel strikt ab. Diese Art „dritter Weg“ zwischen Neuwahl und fester großer Koalition, den die SPD-Linke ins Gespräch gebracht hat, stößt auch bei der CSU auf Widerstand. Dass die „Opposition die Mehrheit hat“, das gehe in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt nicht, macht CSU-Landesgruppenchef Dobrindt deutlich.

Sollte es im Januar mit der SPD zu Sondierungen über eine dritte große Koalition unter Merkels Regie kommen, sollen die Gespräche anders ablaufen als bei den Jamaika-Runden mit FDP und Grünen. „Etwas weniger Öffentlichkeitsarbeit“ solle es geben, wünscht sich die Kanzlerin. Die Durchstechereien, das Sich-Belauern, die vielen Wasserstandsmeldungen, das alles kritisierte sie intern stark. Dieses Klima habe die Jamaika-Sondierungen vergiftet. Merkel musste erkennen, dass sie dieses Verhalten als Verhandlungsführerin nicht verhindern konnte. Zwar hielten sich ihre Leute auffallend zurück, doch schon bei der CSU reichte es für ein Stillhalteabkommen nicht. Dobrindt scheuchte die Grünen oft vor sich her.

Die CDU-Chefin hat auch erkannt, dass sie ihrer Partei etwas schuldig ist. Die herben Verluste bei der Bundestagswahl, das schwächste Ergebnis seit 1949, haben ihre einst unantastbare Stellung angekratzt. Die stete Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik und die lang währende Uneinigkeit mit der CSU in dieser Frage haben bei ihr ein Umdenken bewirkt.

Es ist nicht so, dass ihr in der Vergangenheit nicht aufgefallen wäre, dass es unzufriedene Stimmen gab. Doch Merkel hat sie häufig übergangen. Nun beriet der CDU-Vorstand die Wahlniederlage, ohne Zeitlimit und ohne Scheuklappen. Merkel gestand Fehler ein, nannte etwa die Uneinigkeit zwischen CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik. Hätte man vor der Wahl eine Einigung erzielt, „wäre es für das Ergebnis förderlicher gewesen“. Viele Wähler seien nicht von einer gelungenen Steuerung und Ordnung der Migration überzeugt gewesen, das sei auch ein Grund für das Wahlergebnis gewesen. Es ist ein erstaunliches Eingeständnis.

Der Druck auf Merkel wächst auch von anderer, der Union traditionell zugewandter Seite. Vorgespräche, Sondierungen, Koalitionsverhandlungen – in der Wirtschaft wächst die Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Zustand. Der mächtige Bund der Deutschen Industrie (BDI) hat genug vom Tanz um die Macht. BDI-Präsident Dieter Kempf wird sehr deutlich: „Unsere Unternehmen erwarten Klarheit bei der Regierungsbildung. Wir müssen wissen, wohin die Reise geht – in Europa, bei der Digitalisierung oder im internationalen Steuerwettbewerb. Die Wirtschaft braucht eine handlungsfähige und stabile Regierung. Je schneller, umso besser“, sagte er dieser Zeitung. Sprudelnde Steuereinnahmen seien kein Grund, sich zurückzulehnen, und dürften kein Freifahrtschein zum Ausruhen auf Erreichtem sein. „SPD, CDU und CSU müssen sich auf ihre Gemeinsamkeiten konzentrieren.“ Merkel hofft genau das, es ist erst mal ihr letzter Versuch.