Brüssel .

Die Begrüßung ist überaus freundlich, doch den tiefen Graben können alle diplomatischen Höflichkeiten nicht verdecken. Als die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Morgen zum Frühstücksgespräch in der Brüsseler Zentrale des Europäischen Rats empfängt, heißt sie den Gast mit Wangenküssen und herzlichen Worten willkommen. Der letzte Besuch eines israelischen Premiers sei 24 Jahre her, „viel zu lange“, flötet Mogherini. Dabei weiß ihr Gast nur zu gut, dass die EU-Außenbeauftragte gern noch etwas länger gewartet hätte. Netanjahu verdankt seine Visite bei den EU-Außenministern im Rahmen einer Europa-Reise allein der litauischen Regierung, die ihm den Gefallen einer Einladung nach Brüssel tat – als Netanjahu die Sache öffentlich machte, konnte Mogherini ihn nicht wieder ausladen, bat aber demonstrativ Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zum nächsten Ministertreffen im Januar.

Es dauert dann auch nur wenige Minuten, bis kein Zweifel mehr besteht, dass es sich hier nicht um den Auftakt eines Freundschaftsbesuchs handelt. Im Pressestatement noch vor dem Vier-Augen-Gespräch drängt Netanjahu die EU dazu, dem Beispiel von US-Präsident Donald Trump zu folgen und Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Diese Entscheidung mache den Frieden in Nahost möglich, denn Frieden basiere auf der Anerkennung der Realität: „Jerusalem ist die Hauptstadt Israels und niemand kann das verneinen“, erklärt der Premier. Auch die Palästinenser müssten das akzeptieren. Dabei kennt Netanjahu die Haltung führender EU-Regierungschefs nur zu gut: Er hat den Europäern ja kurz vor der Anreise „Doppelmoral“ vorgeworfen, weil unter anderem die Regierungen Deutschlands und Frankreichs und auch Mogherini den Kurs Trumps in der Hauptstadtfrage scharf kritisiert hatten, aus Netanjahus Sicht aber die jüngsten Raketenangriffe auf Israel nicht ausreichend verurteilten. Das schwebt nun im Raum, während Mogherini versichert, die EU werde am internationalen Konsens zu Jerusalem festhalten. Soll heißen: Ein einseitiges Vorgehen wird nicht unterstützt, Jerusalem soll Hauptstadt Israels und Palästinas im Rahmen einer Zweistaatenlösung werden.

Am Mittag wird Mogherini dem Gast eine schnippische Kurzfassung der diplomatischen Replik hinterherschicken: Netanjahu könne seine Erwartungen an die Verlegung von Botschaften nach Jerusalem „an andere richten, denn von der Seite der EU-Mitgliedstaaten wird dieser Schritt nicht kommen“. Dafür immerhin hat sie das Mandat der EU-Außenminister, die nach einer längeren Diskussion mit Netanjahu diese Position bekräftigen; Deutschland wird dabei vom EU-Botschafter Reinhard Silberberg vertreten, Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte wegen eines Krankheitsfalls im familiären Umfeld abgesagt. Eine alleinige Initiative der USA werde nicht erfolgreich sein, warnt Mogherini. „Wir möchten nicht, dass sich die amerikanische Regierung diskreditiert.“

Nur die wirtschaftlichen Beziehungen sind gut

Die Außenbeauftragte lobt ausgiebig die Geschlossenheit der EU-Außenminister – dabei hatte sie sich weitaus mehr gewünscht. Geplant war eine deutliche Verurteilung von Trumps Plänen, über die sie in Brüssel tief besorgt sind. Trumps Entscheidung habe „das Potenzial, uns zurückzuschicken in noch dunklere Zeiten als die, in denen wir ohnehin schon leben“, erklärte Mogherini vergangene Woche. Doch eine scharfe Distanzierung von Washington kam nicht zustande: Es geht ein Riss durch die EU in der Frage, wie scharf man auf die jüngste Eskalation reagieren soll. Vor allem skandinavische Staaten sind für klare Kante. Doch eine Verurteilung des amerikanischen Vorgehens hatte unter anderem die ungarische Regierung gestoppt; eine solche Distanzierung sei nicht notwendig, erklärte deren Brüsseler Botschafter. Von der tschechischen Regierung kam sogar das Signal, man könne wie die USA Jerusalem als Hauptstadt anerkennen. Die Osteuropäer scheuen zum einen den offenen Konflikt mit den USA, während die EU-Außenbeauftragte spätestens seit dem Streit um das Iran-Atomabkommen um klare Worte an Washington nicht verlegen ist. Zugleich pflegt etwa Ungarns Regierungschef Viktor Orbán bei seinem Anti-Islam-Kurs seit Längerem eine größere Nähe zum rechtskonservativen Netanjahu. Als der israelische Premier im Sommer mit ost- und mitteleuropäischen Regierungschefs in Budapest zusammentraf, zog er über die offizielle EU-Linie her: Die Politik Brüssels sei „absolut verrückt“, weil sie die Zusammenarbeit mit Israel auf jedem Gebiet an politische Bedingungen knüpfe.

Tatsächlich sind nur die wirtschaftlichen Beziehungen der EU zu Israel gut, die politischen sind seit längerer Zeit angespannt: Die EU kritisiert sehr offen die israelische Siedlungspolitik, mehrmals war deshalb das Assoziierungsabkommen mit Israel in Gefahr. 2015 beschloss die EU, dass israelische Produkte aus den Siedlungen im Westjordanland, Ost-Jerusalem und den
Golanhöhen besonders gekennzeichnet werden müssen. Die EU stellt zudem der palästinensischen Autonomiebehörde Milliarden an Hilfsgeldern zur Verfügung, sie ist deren größter internationaler Geldgeber – was in Israel auf wenig Sympathie stößt. Die Forderung nach einer Zweistaatenlösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt ist aber auch weiter offizieller Konsens in der EU, bei allen Differenzen um die aktuelle, von Washington vorangetriebene Entwicklung. Eine Lösung des Konflikts könne nur durch direkte Verhandlungen erreicht werden, sagte Mogherini nach dem Treffen mit Netanjahu. Dabei wolle die EU gemeinsam mit den USA, den Vereinten Nationen und Russland im Nahost-Quartett an einer Friedenslösung arbeiten – ergänzt um Jordanien und Ägypten.

Allerdings scheine der Beginn neuer Friedensverhandlungen derzeit „in sehr weiter Ferne“, räumt die Außenbeauftragte ein. Das Schlimmste, was in Jerusalem und der Region derzeit passieren könne, sei eine „neue Eskalation der Spannungen und der Gewalt.“